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Der Moskauer Patriarch Kyrill I. will den Königsberger Dom in die russisch-orthodoxe Kirche überführen.

Foto: Epa/Sergei Chirikov

Wenn Artjom Chatschaturow in die Tasten haut, dann bleibt vorübergehend die Zeit stehen. Der Klang der Orgelpfeifen erfüllt dumpf hallend und vibrierend das sonst schmucklose und karge Innere des Doms von Kaliningrad, der russischen Exklave an der Ostsee, dem früheren Königsberg. Für den Domorganisten Chatschaturow ist der Dom auf der Kneiphof-Insel "der schönste Arbeitsplatz der Welt" . Die Seiten der goldgeschmückten Orgel zieren barocke Posaunenengel. In der Mitte drei Stockwerke hohen Musikinstruments steht eine Marien-Skulptur.

Der Wiederaufbau der im zweiten Weltkrieg zerstörten Backsteinkathedrale wurde sowohl mit deutschen als auch russischen Spendengeldern finanziert. Die rund drei Millionen Euro, die der Nachbau der 1721 von Joshua Mosengel gebauten Domorgel kostete, wurden auf Initiative des ehemaligen Präsidenten Wladimir Putin vom Kreml zur Verfügung gestellt.

Russisch-orthodoxe Kirche

Ironischerweise soll der damalige Spender nun helfen, den Königsberger Dom unter das Kuratel der russisch-orthodoxen Kirche zu stellen. Der Moskauer Patriarch Kyrill I. bat den jetzigen Premierminister, ihn bei seinen Bemühungen zu unterstützen, den Königsberger Dom unter das Dach der russisch-orthodoxen Kirche zu überführen. Laut russischen Medien hat es der Patriarch auf das wertvolle Grundstück der Kneiphof-Insel, auf der der Dom steht, abgesehen.

Chatschaturow kann der Übernahme "seines" Doms durch die russisch-orthodoxe Kirche wenig abgewinnen. "Hier ist doch alles voller katholischer Symbolik" , sagt der Absolvent des berühmten Tschaikowski-Konservatoriums in Moskau. Seit mehr als zwei Jahren lebt er schon in Kaliningrad, die russische Hauptstadt fehlt ihm kein bisschen: "Die Stadt ist kleiner, die Luft ist besser und die Leute freundlicher" .

Es weht ein anderer Geist durch Kaliningrad, ist auch Alexej Laleko, der vor dem Königsberger Dom, DVDs an Touristen verkauft, überzeugt. "Wir leben in deutschen Häusern, essen deutsche Gerichte und haben eine deutsche Vergangenheit" , meint der 49-Jährige. Die Beziehung von Kaliningrad zu Russland vergleicht Laleko mit der Großbritanniens zu Europa. "Auch wir sind eine Insel" , sagt der Kaliningrader mit den ukrainischen Wurzeln.

In den vergangenen Jahren hat eine langsame Rückbesinnung auf die reiche, ostpreußische Vergangenheit stattgefunden. Der Kaliningrader Gouverneur Georgi Boos versucht, die Region besser zu vermarkten und als Tourismusdestination zu etablieren. Das Problem ist nur, dass die potenziellen Touristen die Stadt nur als Königsberg und nicht Kaliningrad kennen. Immer wieder flammt daher die Debatte auf, ob man der Stadt nicht ihren ursprünglichen Namen zurückgeben sollte.

Neue Fahrt bekam die Diskussion als sich der Kaliningrader Oberbürgermeister Felix Lapin im Frühling für eine Umbenennung der Gebietshauptstadt in Königsberg aussprach. Auch Boos kann sich die Wiedereinführung des alten Namens grundsätzlich vorstellen: "Ich bin nur gegen eine Umbenennung von oben. Das muss schon die Bevölkerung wollen." Kategorisch gegen eine Umbenennung sind allerdings die Kommunisten, Veteranen und Russisch-Nationalen, die ein Komitee gegen die Regermanisierung Kaliningrads gegründet haben.

Die Deutschen, die nach dem zweiten Weltkrieg aus Kaliningrad vertrieben wurden, sind nun auch wieder willkommen. Während die Kommunisten eine Regermanisierung befürchten, freut sich Alexander Blinow, der Bürgermeister von Jantarnij, dem früheren Palmnicken, über die Rückkehr der Deutschen: "Sie kommen als Investoren. Das ist für uns überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil: Wir laden sie sogar dazu ein." Die Einladung gilt allerdings nur für Unternehmer, die ihr Geld in der Region investieren wollen. Private haben keine Möglichkeit, in Kaliningrad Grund und Boden zu erwerben.

Einer, der wiedergekommen ist, ist Ludwig Becker, der Nachfahre von Moritz Becker, der im 19. Jahrhundert das Bernstein-Kombinat in Palmnicken gegründet hatte. Becker hat ein Museum, ein Hotel und ein Cafe in Jantarnij gebaut. "Ich bin hier geboren. Becker auch. Wir sind Landsleute" , sagt Blinow. (Verena Diethelm aus Kaliningrad, DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2009)