Brüssel/Straßburg/Wien - Mit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon haben die 27 Mitgliedstaaten die Ernennung der neuen Führungsspitze formalisiert. Die mit dem Reformwerk geschaffene neue EU-Außenministerin, die Britin Catherine Ashton, tritt heute ihr Amt als "Hohe Vertreterin für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik" und damit die Nachfolge des bisherigen EU-Außenbeauftragten Javier Solana an.

Wenn nächstes Jahr die neue EU-Kommission ihre Arbeit aufnimmt, soll die Britin zusätzlich die Aufgaben der bisherigen EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner übernehmen und zugleich Vizepräsidentin der Brüsseler Behörde werden.

In ihrer Eigenschaft als Kommissionsmitglied muss sich Ashton aber noch mehreren Anhörungen im EU-Parlament stellen, die erste ist für den (morgigen) Mittwoch geplant. Das Parlament will am 26. Jänner über das gesamte Kommissionskollegium abstimmen. Ashtons Amtszeit wird mit jener der kommenden EU-Kommission (Ende 2014) enden.

Die Wahl des neuen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und die Ernennung der neuen Außenpolitikchefin Catherine Ashton seien in einem schriftlichen Umlaufverfahren bestätigt worden, teilte der Rat der Europäischen Union am Mittwoch in Brüssel mit. Van Rompuy wurde für zweieinhalb Jahre gewählt, seine Amtszeit endet am 31. Mai 2012.

Der neue EU-Ratspräsident, die die EU nach außen vertreten soll, wird seinen Job einer internen Vereinbarung zufolge erst mit 1. Jänner 2010 beginnen. Die Leitung von EU-Gipfeln überlässt er bis zum Jahresende dem schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt, der bis dahin noch nach dem alten Rotationsprinzip den Vorsitz führt.

Neunjähriger Streit geht zu Ende

Der nach der portugiesischen Hauptstadt benannte Vertrag habe "nach langer und stürmischer Reise endlich seinen Hafen erreicht", erklärte der neue EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in einer in Auszügen nach Brüssel übertragenen Ansprache. Van Rompuy spielte damit auf die zahlreichen Rückschläge bei der Ratifizierung des Vertrags an, der bereits vor zwei Jahren in Lissabon unterzeichnet worden war.

Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geht ein neunjähriger Streit um interne Reformen der auf 27 Staaten gewachsenen Europäischen Union zu Ende. Mit ihm hat die EU die wichtigsten Bestimmungen der EU-Verfassung gerettet, die nach Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden 2005 gescheitert war. Zwar lehnten die Iren drei Jahre später auch den Lissabon-Vertrag in einem Referendum ab. Im Angesicht der schweren Wirtschaftskrise sagten die Bewohner der grünen Insel aber dann im zweiten Anlauf Ja zu dem Reformwerk.

Verheugen: "Mehr Europa" notwendig

Der Lissabon-Vertrag sei sicher nicht das letzte Wort in der europäischen Entwicklung, aber ein notwendiger Schritt, um auf gleicher Augenhöhe mit anderen wichtigen Regionen der Welt zu reden, sagt der deutsche EU-Industriekommissar Günther Verheugen im Ö1-Interview. "Das ist für die nächsten 20 bis 25 Jahre die fundamentale Frage." Wenn die Europäer über ihr Schicksal selber entscheiden wollten, müssten sie gleichberechtigt agieren können mit den anderen globalen Mächten.

"Mehr Europa" sei vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik notwendig, sagt Verheugen zu Ö1. Selbst die größten Länder in der EU könnten ihre internationalen Interessen nicht mehr allein vertreten. Als größtes Manko erachtet Verheugen, dass Europa keine klare und anerkannte Führung habe. Ob das nun besser wird, das werde sich zeigen, so Verheugen. Als "sehr schweren Fehler" bezeichnet er, "dass ein Land wie Deutschland sich seiner Führungsverantwortung für Europa weitgehend entzieht". (red/APA, derStandard.at, 1.12.2009)