Mit zum Teil recht blumigen Worten wurde das Inkrafttreten des EU-Vertrages von Lissabon Montag von EU-Abgeordneten nochmals begrüßt: Die darin enthaltene Grundrechtskonvention und die Einführung einer Europäischen Bürgerinitiative "bildeten in Zukunft das Herzstück der Demokratie in Europa", sagte die Grüne Ulrike Lunacek.

In der Tat wird man mit dem Sammeln von einer Million Unterschriften die EU-Institutionen zwingen können, sich mit einer Materie zu befassen und Gesetzesvorschläge zu erarbeiten.

Die Grundrechtscharta wird erstmals etwa soziale Rechte wie das Streikrecht auf Unionsebene verankern, auch wenn Polen, Großbritannien und Tschechien Ausnahmeregelungen vereinbart haben. Von einem "Meilenstein für Weiterentwicklung der Union, einer neuen Ära der Mitsprache" sprach der Leiter der größten Delegation aus Österreich in Straßburg, Ernst Strasser von der ÖVP. Tatsächlich wird es vor allem das EU-Parlament sein, dessen Rechte und Mitgestaltungsmöglichkeiten erheblich gesteigert werden - wie auch der nationalen Parlamente.

Von dem (oben genannten) Mitentscheidungsrecht im Bereich der Innern Sicherheit und Justiz abgesehen, wird für die EU-Parlamentarier vor allem wichtig, dass sie auf das gesamte EU-Budget Einfluss haben und ihre Zustimmung geben müssen. Auf Basis des EU-Vertrages von Nizza war das noch nicht so. Dadurch bekommt das Parlament zum Beispiel die volle Einflussnahme auf alle Teile der gemeinsamen Agrarpolitik. Bisher konnten EU-Kommission und Agrarministerrat entsprechende Maßnahmen auch ohne Straßburg durchsetzen.

Diese direkte Mitsprache bleibt dem Parlament im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zwar verwehrt (hier haben sich die Nationalstaaten wie auch bei Steuerfragen noch ein Vetorecht gesichert). Aber dennoch: Vor allem die Entscheidungsmechanismen wurden mit Lissabon vereinfacht. Nach dem Auslaufen einiger Übergangsregelungen sollen Mehrheitsentscheide auf fast allen politischen Gebieten zur Regel werden. Das Prinzip der "doppelten Mehrheit" - von Stimmgewichten nach Bevölkerungszahl und nach Staaten - sollte sich langfristig auf die meisten Materien durchsetzen.

Bisherige Blockaden durch Vetos sollen vermieden werden. Die nach außen hin auffälligste Neuerung ist wohl in der Schaffung des Amtes eines ständigen Präsidenten des Europäischen Rates zu sehen. Das Amt übernimmt der Belgier Herman Van Rompuy.

Er soll in Hinkunft für bessere Kooperation der Ratssitzungen auf der höchsten Ebene der Staats- und Regierungschefs sorgen. Und er soll die Union "nach außen" vertreten. Wie genau, das muss Rompuy noch mit der neuen "EU-Außenministerin" Catherine Ashton klären. Ihr Amt bringt die zweite große Funktionsänderung. Denn Ashton wird gleichzeitig Vizepräsidentin der EU-Kommission sein, also das Bindeglied zwischen Kommission und Ministerrat.

Schließlich sieht der neue Vertrag erstmals auch explizit die Möglichkeit vor, dass ein Staat aus der EU wieder austritt. (tom/DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2009)