Münster/Salzburg - Chronischer Juckreiz hat sich zu einer regelrechten Volkskrankheit entwickelt, berichten Experten bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie. "Juckreiz ist ein häufiges und unterschätztes Krankheitssymptom. In einer aktuellen deutschen Befragung von  11.000 Patienten haben 17 Prozent angegeben, unter störendem Juckreiz zu leiden. Davon hat aber nur die Hälfte einen Arzt aufgesucht", sagt Thomas Luger, Direktor der Klinik und Polyklinik für Hautkrankheiten des Universitätsklinikums Münster.

Juckreiz  erfüllt eine zentrale Warnfunktion der Haut: Er macht uns auf Fremdkörper oder Insekten auf der Hautoberfläche aufmerksam. Doch chronischer, länger als sechs Wochen andauernder Juckreiz ist ein nicht einfach behandelbarer, belastender Zustand, der Studien zufolge nur in 40 Prozent der Fälle von einer Hauterkrankung herrührt.

Juckreiz als Warnsignal

"Die Ursachen für chronischen Juckreiz sind vielfältig. Im harmlosesten Fall ist eine verminderte Fettproduktion und damit trockene Haut dafür verantwortlich, es kann aber auch um schwer wiegende Probleme wie Nieren- und Lebererkrankungen, Stoffwechselstörungen, oder Bluterkrankungen gehen, und natürlich um chronisch entzündliche Hauterkrankungen wie Neurodermitis und Schuppenflechte", so Luger. "In jedem Fall ist der Juckreiz ein Warnsignal, dass etwas nicht stimmt. Ein über längere Zeit bestehender Juckreiz sollte daher immer ärztlich abgeklärt werden, um der Ursache auf die Spur zu kommen."

Junges Forschungsgebiet

Die wissenschaftliche Untersuchung von chronischem Juckreiz ist ein junges Forschungsgebiet. Erforscht wird unter anderem die Frage, wie Juckreiz in der Haut und im zentralen Nervensystem ausgelöst und verarbeitet wird oder wie er chronifiziert, sich also dauerhaft festsetzt. Bis vor kurzem galt Juckreiz noch als behandlungsresistent, was vor allem mit einer Fehldiagnose zusammenhing. Denn er wurde zum Phänomen Schmerz gezählt. Eine neue Studie lieferte erst kürzlich den Beweis, dass Jucken ein eigenständiges Symptom ist. Es gibt spezielle Nervenbahnen, die nur die Signale für Juckreiz von der Haut an das Hirn leiten. In der Haut und im Rückenmark konnten inzwischen eigene Juckreizfasern nachgewiesen werden und charakterisiert werden, wie diese arbeiten.

Neue Therapien

Solche neuen Erkenntnisse haben bereits zur Entwicklung und Anwendung neuer Therapien geführt, die bei vielen Patient schon erfolgreich zum Einsatz gekommen sind. Das bringt für Betroffene eine große Erleichterung, denn auf konventionellen Therapie-Methoden wie Kortison oder Antihistaminika spricht chronischer Juckreiz oft nicht an. Antidepressiva oder bestimmte Medikamente gegen Epilepsie haben sich beispielsweise als erfolgreich im Kampf gegen den Juckreiz erwiesen. "In einer aktuellen Studie an unserer Klinik haben wir 72 Patienten mit modernen Antidepressiva behandelt, bei 68 Prozent von ihnen ging der Juckreiz deutlich zurück." (red)