Bild nicht mehr verfügbar.

Bergung nach dem Anschlag:Eine Bombe brachte den "Newski-Express" nach Moskau bei Tempo 200 zum Entgleisen.

Foto: AP/Sekretarev

Nach dem Bombenanschlag auf einen Schnellzug wächst die Angst vor neuen Terroranschlägen.

*****

Moskau/Wien - Jelena Michajlowna Golubewa war gerade dabei, eine Scheibe Wurst abzuschneiden als die Explosion ihre Teetasse vom Tisch fegte. Die 78-jährige Pensionistin wohnt nur 50 Meter von der Stelle entfernt, wo am Freitagabend eine Bombe die letzten drei Wagons des "Newski-Express" von den Gleisen riss. Die Wucht der Bombe, die nach Angaben des Geheimdienstes FSB eine Sprengkraft von sieben Kilogramm TNT-Äquivalent hatte, ließ Golubewas Fenster zerbersten.

Im Häuschen der Pensionistin wurden zunächst auch die Verletzten erstversorgt. Rettung und Ärzte brauchten fast zwei Stunden bis sie in dem abgelegenen Wald- und Sumpfgebiet zur Unglücksstelle vordringen konnte.

Der Anschlag forderte 25 Todesopfer und 21 Schwerstverletzte. Insgesamt werden 86 Menschen in den Krankenhäusern behandelt. 26 Menschen wurden am Sonntag noch vermisst, teilte die russische Gesundheitsministerin Tatjana Golikowa mit. Der Zug war mit mehr als 680 Passagieren besetzt.

Nach dem Anschlag wächst unter der russischen Bevölkerung die Angst, dass der Terror von den Unruheregionen im Kaukasus ins russische Kernland zurückkehrt. Anfang des Jahrtausends erschütterten zahlreiche Terroranschläge die russische Hauptstadt Moskau.

"Diesem demonstrativen Verbrechen hätte jeder von uns zum Opfer fallen können. Sie wollen alle, die in Russland leben, einschüchtern" , sagte der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill. Der russische Sicherheitsexperte Pawel Felgenhauer ist hingegen der Meinung, dass der Anschlag nicht gegen die russische Bevölkerung gerichtet war, sondern direkt gegen die Führungsschicht.

Der Schnellzug "Newski-Express" , der für die Strecke von Moskau nach St. Petersburg nur viereinhalb Stunden braucht, ist besonders bei Politikern und Geschäftsreisenden beliebt. Die billigsten Tickets kosten rund 60 Euro und sind damit für die meisten Russen unerschwinglich.

Laut der Internetseite Gazeta.ru befinden sich unter den Toten der Chef von Rosreserv und der Staatsholding Rosawtodor. Außerdem seien in einem der Wagons ein Koffer mit 1,5 Kilogramm Heroin gefunden worden.

Ein im Internet aufgetauchtes Bekennerschreiben der rechtsextremistischen Gruppe Combat 18 wurde von den Ermittlern als wenig glaubwürdig eingestuft. Die Gewalt von Rechtsradikalen in Russland nimmt zu. Von Jänner bis Oktober 2009 sind in Russland 59 Menschen durch fremdenfeindliche Angriffe getötet worden.

Die Ermittler verfolgen allerdings eine andere Spur. Sie vermuten Pawel Kosolapow hinter dem Anschlag. Der russische Ex-Soldat war zu den tschetschenischen Rebellen übergelaufen. Er wurde auch schon für den 2007 ausgeübten Anschlag auf den "Newski-Express" verantwortlich gemacht. Und natürlich kursieren im Interet zahlreiche Verschwörungstheorien, die die russische Regierung oder Eisenbahngegner hinter dem Anschlag vermuten. (Verena Diethelm/DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2009)