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Selbst stillgelegte Stahlhütten wurden wieder aktiviert, um an die staatlich geförderten Aufträge zu kommen.

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Peking - Die Karikatur wirkt, als ob ein pazifischer Handelskrieg zwischen USA und China droht: Uncle Sam demontiert die Brücke, über die ein Chinese eine Stahlröhre rollen will. Die Zeichnung der China Business News bezog sich auf die neuen Strafzölle zwischen zehn und 16 Prozent, die die USA auf chinesische Einfuhren von Röhren für Ölpipelines erhebt.

"Seit Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama ist das die härteste Strafmaßnahme gegen uns." Ein Sprecher des Handelsministeriums warnte vor "Diskriminierung" und Protektionismus. 2008 hatte China für 2,7 Mrd. Dollar (1,8 Mrd. Euro) Röhren an die USA verkauft, 358 Prozent mehr als 2006. Nun wurde es den USA zu viel. Seit Januar haben sie 14 Untersuchungen meist wegen Dumpings eingeleitet.

Washington steht nicht allein. 88 Verfahren wurden seit Jänner von 19 Ländern gegen Importe aus China angestrengt. Auch der Kammerpräsident der EU-Wirtschaft in China, Jörg Wuttke, warnte: "Es wird mehr Anti-Dumping-Verfahren ab 2010 als jetzt geben."

Die Ursachen liegen nicht nur am raueren Klima der Weltwirtschaft. Immer mehr chinesische Branchen geraten unter Exportdruck. Sie tragen schwer an den Überkapazitäten, die sie sich selbst geschaffen haben. Zusammen mit Roland Berger hat Pekings EU-Kammer nun erstmals eine 50-Seiten-Untersuchung mit Fallstudien zu sechs von Überkapazitäten geplagten Branchen vorgelegt. Zu ihnen gehören Stahl, Zement, Aluminium, Kohlechemie, Raffinerien, aber auch die Hersteller erneuerbarer Energien, die viel zu viele Turbinen für Windkraft und Solarmodule produzieren.

Der Aufbau von ungenutzten Produktionsanlagen ist der ungewollte Preis einer aggressiven Industrie-Strategie der Pekinger Regierung gegen die Folgen der globalen Krise. Sie stimulierte über Staatsprogramme Chinas Wachstum mit Soforthilfen, einem 400 Mrd. Euro Sonderfonds zur Konjunkturbelebung und gab zugleich die Geld- und Kreditpolitik frei. Staatlich kontrollierte Geschäftsbanken konnten heuer fast 1000 Mrd. Euro in Chinas Wirtschaft als Kredite hineinpumpen. Der Jumpstart funktionierte: Seit Juli erzielte die Industrieproduktion zweistellige Zuwächse.

Massive Investitionen

Kehrseite des Booms in Chinas teilreformierter sozialistischer Marktwirtschaft ist, dass Provinzen und Industrieunternehmen die Investitionen nutzten, um ihre Kapazitäten in noch nicht dagewesenen Umfang auszubauen. Selbst stillgelegte Stahlhütten oder Zementwerke wurden wieder angefahren, solange die Infrastrukturprogramme für Aufträge sorgten.

19 Branchen melden Überkapazitäten, von Herstellern für Flachglas bis zu Containerschiffen. Pekings Staatsrat zog seit Juni auf zwei Krisensitzungen die Notbremse und verbot, in den nächsten drei Jahren Neuanlagen zu bauen.

Die Überschüsse sind gigantisch. Chinas Stahlhütten könnten mit Kapazitäten von über 700 Mio. Tonnen pro Jahr 200 Mio. Tonnen mehr Stahl herstellen, als nachgefragt wird, schrieb die Volkszeitung. In der Kohlechemie würden 30 Prozent aller Anlagen nicht genutzt. Über solchen Industrien schwebe ein Damoklesschwert, das ein Hindernis ihrer Weiterentwicklung bedeutet. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2009)