Was haben 670.000 Radiohörer, die sich laut Radiotest für das 1. Halbjahr 2009 täglich dazu entscheiden, Ö1 zu hören, verbrochen, dass ihnen von der ORF-Führung so eine Programmreform zugemutet wird? Nicht nur, dass man bereits Anfang dieses Jahres das sonntägliche Kulturquiz gestrichen, das Radio-Symphonie-Orchester infrage gestellt hat und sie jetzt mit einer Kabarettsendung quält, die ihren Platz auf Ö3, FM4 oder ORF1 hätte, kündigte der ORF nun auch noch an, die Nachrichtensendungen auf Ö3-Format zu kürzen.

Was geht in den Köpfen einer Unternehmensführung vor, ein über Jahrzehnte aufgebautes Produkt, das am Markt eindeutig positioniert ist, derart zu schädigen? Warum jenen Sender des ORF nach unten nivellieren, der als einziger zweifelsfrei den gesetzlichen Bildungsauftrag erfüllt? Und vor allem: Was erwartet uns als nächstes? Die Durchschaltung des Musikantenstadls am Samstagabend? Casting-Shows, in denen die Netrebkos und Villazons von morgen gesucht werden? Eine Morning-Show mit halblustigen Witzen und Werbeeinschaltungen? Selbstverständlich kann man als Ö1-Hörer nicht die Augen davor verschließen, dass der ORF die schwerste wirtschaftliche Krise seiner Geschichte durchmacht. Es stellt sich aber die Frage, wie „sinnvoll“ es ist, an seinem qualitativen Aushängeschild zu sparen und das Risiko einzugehen, massenweise Hörer zu verlieren. Dass die Angleichung des Programms an die private Konkurrenz nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern eher ein Schuss ins Knie ist, hat der ORF in den vergangenen Jahren ja bereits im TV gelernt(?). Es wäre klüger, sich auf vorhandene Stärken zu konzentrieren, statt die Schwächen anderer zu übernehmen.

Die Führungsgremien des ORF wären daher gut beraten, die jüngsten Entscheidungen bezüglich Ö1 zu überdenken. Schließlich geht es um nichts weniger als um die Erhaltung der letzten Bastion von Qualität, die der öffentlich-rechtliche ORF seinen zahlenden Kunden noch zugesteht. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.11.2009)