Matthias Cremer/Standard

Der Salzburger Jedermann als Mannschaftsspieler - ein Porträt aus Anlass eines Frühlingsgesprächs.


Wien - Die Zeit fliegt nur so dahin. Sogar der lang erwartete Frühling, der sich doch eben erst im Wiener Volksgarten niedergelassen hat, schürzt schon wieder sein dünnes Hemdchen und eilt ohne Verweilen der Bruthitze des Sommers entgegen.

Auf einer witterungsgrauen Bank im Volksgarten, gleich gegenüber der Burg, sitzt der Theaterschauspieler Peter Simonischek. Das Haar hängt ihm in langen grauen Strähnen vor das Gesicht. Er spielt ab kommendem Freitag, 19.30 Uhr, in dem Stück Die Zeit der Plancks des spanischen Wunderautors Sergi Belbel einen sterbenden Vater und Bilderrahmenhändler, der aufgrund seiner Namensgleichheit mit dem berühmten Quantenphysiker Planck in ein Zeitloch hineinfällt.

Im Verlauf einer lächerlichen Millionstelsekunde verkehren und verdrehen sich die Schicksale der Gemahlin und seiner vier Töchter. Der Pfeil auf der Zeitachse wechselt in rasender Fahrt die Richtung.

Die Töchter zerfleischen einander. Fahren einander an die Gurgel, begehen Selbstmord und tauchen aus dem Reich der Toten wieder auf. Ein irrwitziges Lorca-Stück für das 21. Jahrhundert. Es handelt vom Tod des patriarchalen Prinzips. Aber vielleicht hält einen der Autor, der zwingend Musik vorschreibt und von einem "Musical" spricht, auch nur zum Besten.
Simonischek (56), den sie einen "Star" nennen, seit er in Salzburg mit herzzerreißender Lust den Jedermann hochreißt, als wäre das Sterben des schandbar reichen Mannes auf dem Domplatz eine irdische Gaudi für einen herzensguten Wüstling, ist zum hingebungsvollen, braven Mannschaftsspieler geworden.

Seit er mit den Überresten der legendären Schaubühne von Berlin nach Wien übersiedelt ist, spielt er zwar wie gewohnt das stattliche Mannsbild - ob als John Gabriel Borkmann oder als spiegelglasbebrillter Drehbuchschreiber in Albert Ostermaiers Airport-Schmonzette Letzter Aufruf -, tuscht aber in einer Art von besessenem Detailrealismus äußere Verfallszeichen hinzu.

Triumph und Verfall

Simonischek-Helden sind springlebendig wach und bereit, ihre Widersacher strahlend niederzufahren. Zugleich scheint der Schauspieler Simonischek immerfort zu kichern, als bereite ihm die Aussicht auf einen kleinen, nahenden Untergang eine Art von Sterbensvorlust.

Von Physik hat Simonischek keine Ahnung. Sagt er. "Meine physikalischen Obergrenzen liegen irgendwo bei Archimedes oder Pythagoras. In der Quantenmechanik geht es mir wie 99 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Wir haben uns am Burgtheater extra einen Professor kommen lassen, der uns dieses spanische Dorf etwas durchleuchtet hat. Er nahm uns also bei der Hand und ist mit uns die Hauptstraße der physikalischen Wissenschaft entlanggegangen. An der Ortsende-Tafel wussten wir dann so viel wie am Anfang."

Er spricht von gesunder Neugier, wenn er auf die vielen Regisseure zu sprechen kommt, mit denen der gebürtige Grazer, früher ein Schaubühne-Künstler von echtem Schrot und Korn, heute arbeitet: "Meine bevorzugte Grundhaltung ist die absichtslose Erwartung." Simonischek wirft den Kopf zurück. Die grauen Strähnen fallen zurück. Jetzt ahnt er bereits: Die nächste Frage wird den Salzburger Jedermann betreffen. Wenn es seiner Art entspräche, so würde er jetzt wohl seufzen. Stattdessen tschilpt ein Fink.
"Also: Wenn man so etwas annimmt, braucht man nicht mit sich zu hadern. Ein Schauspieler wird doch nicht nur vom Intellekt angeleitet: Die Befriedigung kommt aus dem, was man spielt."

Und wenn man ihn dann in der steifen Lederhose ablichtet? "Wenn's mir unangenehm ist, ziehe ich mich zurück. Die Presse hat mir ja sogar unterstellt, ich wäre mit DJ Ötzi und Hansi Hinterseer befreundet. Dabei habe ich zu diesem Ötzi auf dem Fußballplatz nur einmal ,Grüß Gott!' gesagt."

Und: "Wir haben doch die Quadratur des Kreises zusammengebracht: eine 70 Jahre alte Kultveranstaltung renoviert. Ein im Grunde hoffnungsloses Unterfangen. Denken Sie nur an ein gut gehendes Restaurant."(Ronald Pohl/DER STANDARD; Printausgabe, 2.04.2003)