Das türkische Fernsehteam hat seine Kamera auf dem Hügel aufs Dreibein gestellt, die Satellitenschüssel für das Livegespräch schaut in den Himmel, der tragbare Generator brummt.

Alle warten auf den nächsten Angriff. Zwei US-Jets tauchen als pfeilschlanke Silhouetten zwischen den Wolken auf. Es ist ein bisschen wie in einem dieser klinisch sauberen Kriegsactionfilme aus Hollywood: Erst lösen sich die Bomben lautlos vom Rumpf, dann fallen sie im schrägen Winkel hinunter zur Erde. Die Einschläge in die irakischen Stellungen in den Hügeln auf der anderen Flussseite und die Rauchpilze über dem Dorf vor der Front indes sind echt: das sind die Bilder für die Abendnachrichten.

Drüben, auf der anderen Flussseite, erleben die Menschen die Ereignisse hautnah. Oben auf der Hügelkette kauern die irakischen Soldaten in ihren Erdbunkern und Schützengräben. Und unten im Dorf, in Sichtweite der irakischen Stellungen, starrt Parlaman mit angstvoll aufgerissenen Augen auf die Flugzeuge. Die Sechsjährige hält sich die Ohren zu. Sie kennt das Krachen der Bomben. Auch ihrem Vater Khatoo Ramasan sind die Angriffe vertraut.

Er hat ein Fernglas in der Hand und nestelt und einen billigen japanischen Fotoapparat aus der Tasche. Auch Chatoo ist auf der Suche nach spektakulären Bildern, wenn auch nur fürs Familienalbum.

Khatoos Familie lebt in Kalak. Der zweigeteilte kurdische Ort an der irakischen Nordfront liegt auf beiden Seiten des Zey-Batuk-Flusses. Verbunden sind die beiden Hälften durch eine Stahlbrücke. Der Kurde Khatoo lebt mit seiner Sippe auf der westlichen Seite. Dort trägt das Dorf den seltsamen Namen Kalak- Yasin-Agha - "das Boot des Herrn Yasin". Herrn Yasins Boot wird derzeit tüchtig geschüttelt: Die USA bombardieren die Frontlinie seit Tagen.

Vom Dach seines Hauses aus kann Chatoo Saddams Soldaten auch ohne Fernglas sehen: Wenn nicht gebombt wird, laufen sie auf dem Kamm der Hügel herum. Würden sie den Hang hinunter stürmen, stünden sie in zwei, drei Minuten vor Chatoos Tür. Am Ortsausgang, am Friedhof des Ortes, verläuft die "rote Linie". Weiter wagt sich keiner aus dem Dorf.

Bürgermeister Chalil Ibrahim steht mit seinem Turban und einem grauen Wintermantel verloren auf der Verkehrsinseln im Zentrum des Ortes, schaut in die Hügel schaut und lässt die Perlen der Gebetskette durch die Finger laufen: "Anfangs haben die Soldaten mit ihren Maschinengewehren hinunter ins Dorf geschossen. Aber seit die Amerikaner bombardieren, lassen sie das."

Chatoos Haus und die anderen einstöckigen Häuser, die Läden, die Moschee mit dem windschiefen Halbmond auf der Kuppel - all dies liegt in Schussweite, ja fast in Rufweite der Iraker. Sollte der derzeitige "Zeitlupen-Krieg" an der Nordfront doch noch richtig in Schwung kommen, können die Menschen im "Boot des Herrn Yasin" froh sein, wenn sie nicht mit Mann und Maus untergehen. Saddams Truppen haben Kanonen und Panzer, möglicherweise sogar Giftgasgranaten auf den Hügeln. Sie könnten Gründe finden, all das gegen die Brücke über den Fluss einzusetzen.

Zwar hat sich die irakische Armee bisher kampflos immer weiter zurückgezogen in Richtung der strategisch wichtigen Städte Kirkuk und Mosul. Aber irgendwann einmal wird sie sich stellen müssen. Und ein Fluss und eine Brücke geben oft genug einen Schauplatz für ein Gefecht ab. Bürgermeister Khalil Ibrahim schüttelt den Kopf: "Wie soll ich für die Sicherheit der Menschen hier garantieren?"

Natürlich wissen Khatoo und die anderen in der westlichen Orthälfte von Kalak auch ohne den Bürgermeister, dass sie in Gefahr sind. Die meisten der 700 Familien sind deshalb geflohen. Auch Khatoo mit seinen zwei Frauen und seinen 15 Kindern war geflohen, zu einem Verwandten in ein anderes Dorf auf der anderen Seite des Flusses. Warum er, so wie einige wenige andere Familien auch, mit seiner ganzen Sippe schon nach drei Tagen zurückgekommen ist ins Dorf? Hatte er Angst um sein Haus, um sein bisschen Besitz? Chatoo sagt: "Wir lebten schlecht in dem Ort, in den wir geflohen waren." Gegenüber von seinem Haus hat er seinen kleinen Laden, in dem er alles und nichts verkauft. Auf den zeigt er: "Wir sind arm. Ich ernähre meine Familie mit Gottes Hilfe."

Derzeit braucht Chatoo Gottes Hilfe weniger für das tägliche Brot als dafür, dass ihm keine US-Bombe aufs Haus und seine Familie fällt.

Die nächsten zwei Bomben, die an diesem Abend explodieren, schlagen vor der Hügelkette ein, ziemlich nahe am Nachbardorf. Khatoos Tochter Parlaman presst die Hände noch ein bisschen fester gegen die Ohren, bis zum Nachbardorf sind es ein, zwei Kilometer. Doch obwohl die Rauchpilze damit bedrohlich nahe bei Kalak in den Himmel steigen, johlen und klatschen die Männer bei den Einschlägen. "Saddam Hussein ist nicht nur ein Krimineller. Er ist ein Verrückter. Er führt sich auf wie ein ägyptischer Pharao", sagt einer von Khatoos Nachbarn.