Wien - "Geh, schau dir des an, jetzt hat der Fürnkranz a no zug'sperrt." Die beiden Passantinnen halten inne und schauen in die Auslagen, in denen nur noch ein paar Schaufensterpuppen ihre nackte Existenz fristen. Die knallrosa Aufkleber an den Scheiben künden noch vom vorangegangenen "Totalabverkauf wegen Geschäftsauflösung". "Nur, was nutzt ma a H&M an jeder Eck'n - dort gibt's eh nix für mi. Da beim Fürnkranz hab' I mir immer was g'funden", macht die eine ihrem textilen Frust Luft.

Herber Charme

Das Einkaufsviertel rund um den "Spitz", das Zentrum des 21. Bezirks nahe dem Bahnhof Floridsdorf, versprüht trotz des sonnigen Frühlingswetters herben Charme. Beinahe jedes zweite Geschäftslokal am Beginn der Brünner Straße steht leer. Die Humanic-Filiale ist längst Geschichte, und im Jeansgeschäft gegenüber bedankt man sich per Plakat bei den Kunden "für die langjährige Treue".

Treulose Kunden

Den Verdacht, dass die Kunden es mit der Treue nicht ganz so ernst genommen haben können, kann Bezirksvorsteher Heinz Lehner (SP) nicht loswerden. Viele hätten ihn schon auf die Shopping-Tristesse im Grätzel angesprochen, "wenn ich dann gefragt habe, ,und haben Sie regelmäßig dort eingekauft?‘, dann haben wenige mit Ja geantwortet". Neue Mieter für die Geschäfte sind nicht in Sicht. Kein Wunder, muss man am Spitz doch für ein 30 Quadratmeter großes Geschäftslokal im Monat durchschnittlich 2900 Euro hinblättern. Außerdem hätten sich die Einkaufsgewohnheiten eben grundlegend geändert, sagt Lehner, man gehe jetzt "shoppen".

Nahe Konkurrenz

Und die Konkurrenz liegt nur zwei Straßenbahnstationen vom Spitz entfernt: das Shopping Center Nord, Wiens zweitgrößtes Einkaufszentrum. Von den 78 Geschäften steht keines leer, und der Branchenmix hat sich als krisenfest erwiesen. Vom Merkur bis zur Vinothek, von H&M bis zu Benetton, von McDonald's bis zur Sushibar findet sich dort alles, was dem modernen Einkaufsverhalten entgegenkommt. Ein Multiplexkino gibt's dort ebenso wie eine Gratistiefgarage. 11.000 Besucher zählt man im SCN täglich, an Samstagen sind es 20.000, und jeder Einzelne kauft im Schnitt um 60 Euro ein. Immerhin, die Kaufkraft bleibt im Bezirk, räumt Bezirkschef Lehner ein.

Nahversorgung

Am Spitz wird man in Zukunft wohl stärker auf Nahversorgung setzen müssen, glaubt Helmut Mondschein vom Einkaufsstraßenmanagement des Wifi und betont, dass innerhalb der vergangenen zwei Jahre immerhin 48 Geschäftslokale wieder neu vermietet werden konnten. Vor einiger Zeit hat man eine Passantenbefragung gemacht, mit dem Ergebnis, dass die Frequenz stimmt. "Manchmal beginnt sich die Spirale nach unten zu drehen, und man weiß nicht genau, warum", sagt Mondschein. Ähnlich sei es auch in der Favoritenstraße im 4. Bezirk gewesen, und dort gehe es wieder aufwärts. (Tina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD, Printausgabe, 1.4.2003)