toxic dreams: Ich sterbe / Vanja 3

Foto: Brut Wien, Copyright: Tim Tom

Wien - Auf der Liste der "famous last words" bringt es der russische Dramatiker Anton Pawlowitsch Tschechow auf keine echte Spitzenposition. In einem Hotelbett im süddeutschen Badenweiler soll er, anno 1904 von den Schmerzen durch Tuberkulose arg gepeinigt, schlussendlich seiner Frau Olga Knipper mit dennoch leichtem Lächeln mitgeteilt haben: "Ich sterbe."

Ob er das auf Deutsch getan hat oder auf Russisch oder beides - und ob er sich im Angesicht des letzten Champagnerglases seines Lebens auch nach Moskau gesehnt hat, weil er schon allein die Kleider der deutschen Frauen als unerhörte Geschmacklosigkeit empfand, all das ist unsicher und Verhandlungsgegenstand von "Ich sterbe / I'm Dying" von toxic dreams.

Die Performancegruppe um Yosi Wanunu hat es in den letzten Jahren mit Tschechow (und dessen "Onkel Wanja") bunt getrieben. In nunmehr drei Teilen wurde dem Realismusbegriff in Tschechows Werken und dessen Umsetzung am Theater nachgespürt. "Vanja 1" (2006) war eine filmische Dokumentation einer Reise zum authentischen Ort, zu Tschechows Datscha in Melichowo. Möglichst weit weg vom Realismus führte "Vanja 2" (2008) in Form einer Oper, die den Ennui des Landlebens in rosarot staffierten Gesängen überbrachte.

"Ich sterbe" ist der nun dritte und letzte Teil - und hier fokussiert toxic dreams nicht auf das Werk, sondern das Leben, besser gesagt: das Ableben des Dichters. Im Brut im Künstlerhaus wird die in Biografien immer wieder verschieden beschriebene Sterbeszene Tschechows durchgespielt.

Regisseur Yosi Wanunu geht es nicht um die echteste aller Schlussszenen, sondern um die Realismusmittel, deren sich das Theater bedient, um "echt" zu wirken. Und das fängt schon bei der Bühne selbst an: Ihrem Realismusanspruch weicht Wanunu demonstrativ aus und verlagert das Geschehen auf Leinwände, andererseits in ein am Bühnenrand live errichtetes Kartonhaus vulgo Sterbezimmer.

In dieses ragen vier Kameras wie Spione hinein und übertragen so die Szenen ins "realistischste" aller Medien, den Film. Die Theater-Bühne bleibt leer und wird wie viele andere Theaterelemente (Kabel, Gang, Applaus) mit entsprechenden Warnhinweisschildern versehen. Subtext: Achtung, falsche Realität!

Das Besondere an diesem Dekonstruktionsprinzip ist, und das war stets die Stärke von toxic dreams: Mit der Entzauberung geht eine neuerliche Verzauberung einher. Diesmal war sie allerdings recht langatmig und gleichförmig - trotz der hinreißenden Schauspieler, die mit Japsen und Weinen für "echte" Gefühle sorgten. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.11.2009)