Graz - Die Frage, wie neue Technologien nutzbringend für die Wirtschaft Österreichs eingesetzt werden, brannte schon Beamten von Kaiserin Maria Theresia unter den Nägeln. Einer von ihnen war Karl von Zinzendorf (1739 - 1813), der im höchsten Auftrag nahezu alle europäischen Länder bereiste, um deren Ökonomie, Industrie und wissenschaftliche Entwicklung "auszuspionieren". Grazer Historiker haben nun einen Teil seiner Tagebücher editiert und herausgegeben.

Das von Grete Klingenstein von der Universität Graz geleitete Historikerteam arbeitet seit über zehn Jahren an der kritischen Edition der Aufzeichnungen. Die ersten vier Bände sind jüngst im Böhlau-Verlag erschienen. Sie dokumentieren die Zeit zwischen 1776 und 1782, als Zinzendorf mit der Reorganisation von Stadt und Hafen Triest betraut war. Im ersten Band führt Klingenstein in die Edition ein, der Tagebuchtext ist vollständig in Band zwei und drei enthalten. Der Indexband umfasst rund 12.000 Einträge zu Personen, Orten bis hin zu den von Zinzendorf besuchten Kulturveranstaltungen.

Historische Quelle

"Zinzendorf erweist sich als erstrangige Quelle für Untersuchungen zum Europa des 18. Jahrhunderts", so Grete Klingenstein im Gespräch. In den in Französisch abgefassten Aufzeichnungen stößt man auf eine Fülle von Daten und Fakten zur Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Religion sowie zur Kunst und Literatur. Wie kein anderes Zeitdokument spiegeln die Tagebücher das Kräftespiel der politischen und wirtschaftlichen Interessen von den untersten lokalen Ebenen bis zu den höchsten Entscheidungsinstanzen in Wien wider.

"Er besichtigte auf seinen Reisen Bergwerke und Manufakturen ebenso wie Industrieanlagen und Häfen, Wasserbauten, Lazarette, Landsitze, Banken und vieles mehr", so die emeritierte Historikerin. Zinzendorf verkehrte mit Politikern, Schriftstellern, Ärzten, Wissenschaftern, Künstlern und Mitgliedern des Hofs und hat darüber Aufzeichnungen geführt, die im Detail bis zur Beschreibung der Farbe eines Kleides oder Gesprächen im Theater gehen.

Wende vom Merkantilismus zum Liberalismus

Als Gouverneur von Triest leitete Zinzendorf die Wende vom Merkantilismus zum Liberalismus ein. Durch seine Intervention erhielten die Triestiner Lutheraner 1778 das Recht zur öffentlichen Religionsausübung. Schauplätze der Triestiner Tagebücher sind auch Wien, Venedig, Görz-Gradisca, Kärnten, Krain und Istrien.

Das gesamte Tagebuch (von 1752 bis 1813) besteht aus 56 Bänden, die im Haus, Hof- und Staatsarchiv in Wien verwahrt sind. 2010 sollen zwei weitere Bände - die Reise nach England und in die Schweiz - folgen. (APA/red)