Dezember 1984: Besetzung der Hainburger Au. Es gibt keinen Anführer, sondern für eine "Aussprache" mit der Regierung Sinowatz zehn "Delegierte" , darunter Freda Meissner-Blau und Günther Nenning. Am 14. Dezember sitzen sie dem Kanzler und der Ministerriege gegenüber. Stundenlang. Es gibt keine Annäherung. Heinz Fischer "flüstert" dem Kanzler "dauernd ins Ohr" , berichtet Meissner-Blau der Fischer-Biografin Elisabeth Horvath. Auch bei ihm ortete sie "das Unverständnis der Regierenden" , dass man den Aubesetzern nichts anordnen könne.

Leider schreibt sie nicht, welche Mitverantwortung Fischer an der Prügelattacke der Polizei am 19. Dezember hatte, und auch nicht, welcher Anteil dem heutigen Bundespräsidenten an dem am 21. Dezember angeordneten "Weihnachtsfrieden" zukommt.

Diese Kernepisode der Zweiten Republik und ihr Nachhall in Fischers Buch Reflexionen ("Ich erinnere mich physisch, wie zerrissen ich mich damals fühlte" ) zeigt sehr gut die Position eines heute noch als "orthodox" geltenden Sozialdemokraten.

Fischers Sozialismus wurde gezähmt durch den Josephinismus, durch eine Loyalität gegenüber den Institutionen und dem Recht, wie sie heute nur noch selten, weil meist in gepanschter Form anzutreffen ist. Das Buch der innenpolitischen Journalistin Horvath konzentriert sich sehr kenntnisreich (und gut recherchiert) auch auf andere Wendepunkte der neueren Republiksgeschichte - wie der Gründung des Liberalen Forum durch Heide Schmidt und der Debatte um die Fraktionsgründung im Parlament. Jörg Haider sollte, merkt die Autorin an, 13 Jahre später mit der 1992 heftig bekämpften Schmid/Fischer-Argumentation das BZÖ begründen.

Fischer war in von Personen losgelösten politischen Fragen immer berechenbar. Zum Beispiel in der Frage der Neutralität. Die verfocht er mit der Begründung, die EU habe sie Österreich beim Beitritt ausdrücklich zugestanden. Aber vor dem Hintergrund einer offenkundig prinzipiellen Gegnerschaft zur Nato.

Dadurch bleibt der Politologie-Lehrer Fischer theoretisch ein Exponent des linken SPÖ-Flügels, der er als Student im VSSTÖ und in der Hochschülerschaft schon war. Konträr zu Hannes Androsch, der damals bereits den rechten Flügel kontrollierte.

Vorsichtig einbezogen hat Horvath denn auch Fischers Hang zum Kompromiss - immer gemixt mit der Angst vor Eskalationen wie in den Konflikten Kreisky/Wiesenthal und Kreisky/Androsch. Lieber "innerlich zerrissen" als klare Worte und Taten.

Horvaths Biografie ist selbst für unpolitische Leserinnen und Leser sehr kurzweilig. Man erfährt ständig, was ihm gerade "durch den Kopf gegangen ist" . Man liest viel über frühes "networking" bis in Bergeshöhen, über Jazz und Kunst (wovon Fischer wirklich viel versteht) und schätzt ein eigenes Kapitel über seine Frau Margit, was in solchen Büchern selten ist. (Gerfried Sperl, DER STANDARD-Printausgabe, 26. November 2009)