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Ignace Murwanashyaka, bald vor Gericht?

Foto: Reuters/Pierdomenico

Die Verbrechen, derer sich der stets lächelnde, adrett gekleidete Mann schuldig gemacht haben soll, klingen haarsträubend: auf sein Geheiß hin sollen hunderte Menschen ermordet, Frauen und Mädchen vergewaltigt und ganze Landstriche niedergebrannt worden sein. Nun wurde der gebürtige Ruander Ignace Murwanashyaka (46) verhaftet. In Deutschland, von wo aus er durch seinen Asylstatus geschützt lange Jahre unbehelligt die Mörderbanden im Ostkongo an der Grenze zu seinem Heimatland befehligen konnte.

Markus Frenzel, Redakteur beim ARD-Magazin FAKT, brachte das Thema Mitte Oktober erstmals einer breiteren Öffentlichkeit näher. „Ich bin zufällig auf ihn gestoßen", erzählte der Journalist unlängst in einem WDR-Radiointerview. Bei der Recherche sei er im Flüchtlingsmilieu auf eine Frau gestoßen, die ihm den Namen eines angeblichen Kriegsherrn in Deutschland zusteckte. Nach einem Abgleich mit der Interpol-Fahndungsliste und einer Spurensuche vor Ort im Osten des Kongos war er sicher: er war Ignace Murwanashyaka auf der Spur. „Die Behörden wussten, dass er in Deutschland lebt", sagt Frenzel. Niemand habe es wirklich ernst genommen, wohl auch, „weil sich niemand vorstellen konnte, dass so jemand hier in Deutschland lebt und für Dinge 6000 Kilometer weit entfernt verantwortlich ist." Zwei Jahre lang hat der MDR-Journalist dem Afrikaner nachgespürt und auf die deutsche Justiz Druck ausgeübt, „jetzt hat sich das wohl ausgezahlt."

Schlampige Ermittlungen

Für Ilona Auer-Frege gehört die Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers aus Ruanda zu den größten Erfolgen Ihrer Arbeit. Die diplomierte Politikwissenschaftlerin arbeitet als Koordinatorin für Zentralafrika beim Ökumenischen Hilfswerk, einem Zusammenschluss christlich motivierter deutscher Hilfsorganisationen. Seit einem Jahr habe es immer mehr Hinweise gegeben, dass sich hinter der biederen Fassade des afrikanischen Flüchtlings, der mit Frau und Kindern in einer Mannheimer Wohnsiedlung lebt, ein Kriegsverbrecher verbirgt – auch durch die Berichte von Journalisten wie Markus Frenzel. „Das Problem war, dass niemand so genau über Herrn Murwanashyaka Bescheid wusste", sagt Auer-Frege. Nicht einmal die Bundesstaatsanwaltschaft, die schon 2006 ein Vorverfahren gegen den Ruander eröffnet hatte. „Man hat nur in Deutschland recherchiert, nicht aber im Ostkongo, wo die Verbrechen unter seiner Verantwortung ja passiert sind", sagt Frenzel.

Das Ökumenische Hilfswerk wollte der dünnen Faktenlage begegnen und engagierte einen Researcher, der vier Monate lang Tag für Tag den Hinweisen nachging. Im Mai 2009 wurden die gesammelten Ergebnisse in Form von drei vollgepackten Aktenordnern an die Behörden übergeben. "Das sind zum größten Teil Dinge, die offen im Internet zu finden war. Klar haben wir auch einige Telefonate geführt und uns Vertrauen bei Experten erarbeitet. Aber das meiste war für jedermann zugänglich im Netz." Die Karlsruher Ermittler seien "verblüfft gewesen und wollten wissen, woher wir das alles wüssten. Dabei war das meiste einfach nur Fleißarbeit." Auer-Frege hat Verständnis dafür, "dass sich die Bundesanwaltschaft da noch schwer tut, weil das Internationale Straf- und Völkerrecht bisher noch nie angewandt wurde, es also weder Übung noch Präzedenzfälle gibt." Als NGO können man schneller und weniger bürokratiebehaftet an Informationen kommen.

Einzigartiger Fall

In seiner Dimension sei der Fall Ignace Murwanashyaka weltweit einzigartig, glaubt Journalist Markus Frenzel. Umso ärgerlicher, dass die deutsche Bundesstaatsanwalt auf die Hilfe von Medien und NGOs angewiesen war, um mutmaßlichen Kriegsverbrechern auf die Spur zu kommen. Frenzel und Auer-Frege hoffen nun auf einen Präzedenzfall. Schließlich ist weder der Kriegsherr Deutscher noch seine Opfer. Und auch die Verbrechen, die ihm zur Last gelegt werden, haben nicht auf deutschem Boden stattgefunden. Ein einzigartiger Fall in der deutschen Justizgeschichte.

Kommt es zu einem Prozess gegen Murwanashyaka, "hätte das Auswirkungen, die etwa bis zu Herrn Rumsfeld (US-amerikanischer Verteidigungsminister während der Bush-Ära, Anm.) gehen könnten, gegen den die deutschen Behörden ermitteln müssten, wenn in Deutschland Klagen eingereicht werden", sagt Markus Frenzel. (flon, derStandard.at, 24.11.2009)