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Verlorene fluide Intelligenz ist wieder antrainierbar - mit neuen Lernaufgaben

Foto: REUTERS/Mariana Bazo

Zur Person

Käthe Schneider ist neu berufene Lehrstuhlinhaberin für Erwachsenenbildung am Institut für Bildung und Kultur der Universität Jena. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit lebenslangem Lernen, Handlungsinitiierung und Bildungstheorie im Lebenslauf. Im Rahmen ihrer Promotion hat sie das Lernverhalten älterer Menschen systematisch untersucht.

Foto: Friedrich-Schiller-Universität Jena

derStandard.at: Sie haben sich im Rahmen Ihrer Forschung mit Handlungsinitiierung auseinandergesetzt. Was motiviert Menschen, sich beruflich weiterzubilden?

Schneider: Das war auch eine Kernfrage in meinem Forschungsprojekt. Das Ergebnis: Menschen wollen ihre Leistungsfähigkeit im Beruf verbessern, sich neuen Tätigkeitsanforderungen anpassen, sich persönlich weiterentwickeln, einen größeren Verantwortungsbereich übernehmen. Aber es geht auch um mehr Sicherheit vor einem Arbeitsplatzverlust, mehr Gehalt und bessere Aufstiegschancen. Neuorientierung im Beruf kann ebenso ein wichtiges Motiv sein.

derStandard.at: Das heißt Weiterbildung hat auch mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun.

Schneider: Ja, die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung sollte Kern der Weiterbildung sein. Wenn Motive und Ziele einer Person in einem Gleichgewicht sind, und diese betreffen im Kern die Persönlichkeit, ist die Person nicht nur leistungsfähiger, sie ist auch gesünder und psychisch stabiler. Dies wird zunehmend auch in der beruflichen Weiterbildung erkannt. Ich war zuvor an einer Businessschool tätig: Dort wie auch an anderen internationalen Business Schools stellt die Persönlichkeitsbildung einen zentralen Bereich des Studiums und der Weiterbildung dar.

derStandard.at: Sie befassen sich mit Gerontagogik, dem Lernverhalten älterer Menschen. Inwiefern tut sich eine Mittzwanziger leichter als ein 30- oder 40-Jähriger noch etwas zu lernen?

Schneider: In bestimmten Hinsichten lernt ein junger Mensch leichter als ein älterer: Der Vorteil der Jungen: Sie können schneller Informationen verarbeiten und Wissen erwerben. Die Aufmerksamkeit ist größer, das Schlussfolgern und die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen, erfolgen rascher. Das alles hängt mit der fluiden Intelligenz zusammen, die ab dem 30., 40. Lebensjahr zurückgeht.

derStandard.at: Ist diese fluide Intelligenz trainierbar oder muss man mit ihrem Verlust leben?

Schneider: Laut Studien ist sie sehr wohl trainierbar - recht gut sogar. Man kann beispielsweise ein neues Instrument erlernen, eine Fremdsprache oder sich in fremden Städten neu orientieren, um diese Form der Intelligenz zu fördern.

derStandard.at: Haben Ältere andere Vorteile beim Lernen?

Schneider: Auf jeden Fall. Wenn es um komplexere Transformationen der Persönlichkeit, um Bildung geht, haben ältere Menschen im Unterschied zu jüngeren Vorteile. Komplexere Teile des Selbst verändern sich mit höherer Wahrscheinlichkeit im fortgeschrittenen Alter, nicht in der Kindheit und Jugend.

derStandard.at: Sie befassen sich mit der Bildungstheorie im Lebenslauf. Inwiefern hat die Entwicklung des Selbst damit zu tun?

Schneider: Ich verstehe unter Bildung eine Selbstformung. Das Selbst ist ein Bedeutung bildendes System. Die Person gibt sich, dem eigenen Leben eine Bedeutung. Die Frage nach der Selbstformung ist gegenwärtig ein Thema von großer Relevanz: Die OECD hat in jüngster Zeit die autonome Handlungsfähigkeit zur Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts deklariert. Zu dieser zählt sie auch die Fähigkeit, selbst einen Lebensentwurf zu gestalten. Ich sehe das Gewicht dieses Themas auch vor dem Hintergrund der Sinnfrage, der Selbstentfremdung, aber auch der Frage zur Bedeutungslosigkeit überhaupt.

Zum Selbst gibt es sehr interessante interdisziplinäre Entwicklungstheorien, die die Erkenntnistheorie mit einbeziehen. Das Selbst entwickle sich im Verlauf des gesamten Lebens, bestimmte Systeme des Selbst können sich im 20. Lebensjahr noch nicht transformieren. Somit vollzieht sich auch Bildung über den gesamten Lebenslauf..

derStandard.at: Was bedeutet diese Entwicklung des Selbst im Lebenslauf?

Schneider: Die Selbstentwicklung basiert auf einem Objektivationsprozess. Das bedeutet: Die Teile des Selbst, die ich von meiner eigenen Person betrachten kann, die ein Objekt sind, nehmen im Laufe des Lebens zu und werden komplexer. Im Laufe der Zeit kann die Person ihre eigenen Werte- und Denksysteme betrachten und somit verändern. Dies ist in der Kindheit oder Jugendzeit auch aus Gründen der Erkenntnisentwicklung noch nicht möglich. Es ist der Vorzug des fortgeschrittenen Alters, dass die komplexer werdende Objektivation eine größere Selbst-Bestimmung ermöglicht.

Studien haben gezeigt, , dass diese intentionale Selbstformung mit zunehmendem Alter an Bedeutung gewinnt, also dass man selbst immer mehr Einfluss darauf nehmen möchte, was aus einem selbst wird.

derStandard.at: Was ist für Sie nachhaltige berufliche Weiterbildung?

Schneider: Nachhaltigkeit bedeutet für mich, dass der Erwachsene in der beruflichen Weiterbildung die Lernumgebung vorfindet, in der er seine Lernziele erreichen kann. Ich habe in der beruflichen Weiterbildung oftmals beobachtet, dass bei der Entwicklung von Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung die Ziele nicht präzise sind oder die Inhalte und Methoden nicht den Zielen entsprechen. Es dominieren Inhalte und Methoden, die der Förderung von Wissenszielen dienen, obwohl Handlungsziele gemeint sind.

Ich möchte ein Beispiel dazu nennen: Für eine Führungsperson ist es nicht ausreichend, ein Wissen um Führungstheorien zu erwerben oder ein Wissen darum, dass unter Stresssituationen ein Abweichen von ursprünglichen Zielen bei bestimmten Persönlichkeitstypen wahrscheinlich ist. Es ist viel wichtiger, sich mit den eigenen Handlungsmustern der Führung auseinanderzusetzen und diese bewusst zu erfahren. Dies aber ist zeitkonsumatorisch. Hier sollte deshalb zukünftig sehr viel mehr Zeit auf Selbsterfahrung und Übung im klassisch didaktischen Sinne verwendet werden! Allgemein gilt, dass für nachhaltige berufliche Weiterbildung eine Klarheit über die Ziele sowie ein Wissen über zielförderliche Methoden unabdingbar sind.

derStandard.at:Was raten Sie Menschen, die sich gerne weiterbilden möchten, aber nicht genau wissen, was sie machen sollen?

Schneider: Wenn Personen nicht genau wissen, für welche Weiterbildung sie sich entscheiden sollen, rate ich ihnen, sich zuerst grundlegend mit den eigenen Werten, Verhaltensmotoren, Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen. Ebenso rate ich zur Klärung von grundlegenden Fragen: Soll die Selbstformung in den Dienst eines spezifischen Motivs, z.B. eines Leistungsmotivs, wie z.B. der Karriereentwicklung gestellt werden, oder möchte die Person ihrem Leben eine andere Bedeutung verleihen? Fragen, die den engen Zusammenhang von Bildung als Selbst-Bestimmung unterstreichen. (Marietta Türk, derStandard.at, 21.11.2009)