Verstehen Sie Twitter? Erfahrungen mit neuen Medien standen im Mittelpunkt von "Ich blogge, also bin ich".

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"Das Radiokolleg zum Mitreden ist ein Versuch ein Medienprodukt noch einmal aus der Dose zu holen und mit dem Publikum zu diskutieren und so einen Schritt weiterzudenken", leitete Beate Firlinger die Diskussion zum Thema "Ich blogge, also bin ich" im Radiokulturhaus ein. Thema war aber nicht nur Bloggen, vielmehr sollten alle Aspekte der sozialen Medien Platz in der fast zweistündigen Diskussion finden. Von der Selbstinszenierung über die Bedeutung von "Ich esse eine Wurstsemmel"-Nachrichten bis hin zum politischen Potential.

Freud und Leid

Am Podium diskutierten "über Freud und Leid der Ich-Formate" die Medienwissenschaftlerin und Bloggerin Jana Herwig, Max Kossatz, Meinungsforscher im Internet und ebenfalls Blogger, der Medientheoretiker Ramón Reichert und Österreichs wohl bekanntester Twitter-Nutzer, ZIB2-Moderator in Karenz, Armin Wolf.

Reichert warnte von einem medialen Imperativ der das Motto der Veranstaltung beinhalte. Der Satz "Ich blogge, also bin ich" signalisiere, wer medial nicht repräsentiert ist, sei auch sozial im Aus. "Das setzt uns unter Druck medial sichtbar zu sein und fordert von uns, sich andauernd einzumischen." Kossatz sieht sein Blog nicht als Mittel der Selbstdarstellung. "Für mich ist es so, dass ich nicht im Vordergrund stehen möchte. Ich bin jetzt schon seit 20 Jahren im Internet. Das Internet ist für mich immer da und es ergibt sich von selbst wie man damit umgeht."

Mitmach-Podiumsdiskussion

Kossatz machte auch als erster Gebrauch von der Mitmachkomponente des zweiten "Radiokolleg zum Mitreden", das auch in Zukunft fortgeführt werden soll. Er richtete Fragen ans Publikum vor Ort. Es zeigte sich, viele der rund 40 Personen vor Ort sind aktive Blogger und Twitter-Nutzer. Nur einer kannte Facebook nicht. "Sofort in einen Glaskasten mit dem", hieß es scherzhaft aus dem Publikum. Doch das Ergebnis war erwartbar,  ansonsten wären viele zu Beginn schon vor einem Rätsel gestanden, als es hieß:  "Es gibt einen Hashtag zum Mittwittern #rkblog. Es wäre praktisch, wenn man diesen verwenden könnte, damit wir die Materialien im Internet finden."

Zum Publikum im Radiokulturhaus kamen noch die ZuhörerInnen via Liveübertragung, die, wie auch Anwesende vor Ort, per Kurznachrichtendienst Twitter ihre Rückmeldungen gaben. Diese fanden wie später bemerkt wurde aber kaum Berücksichtigung. "Es gibt einen Rückkanal, das macht viel Menschen fertig", meinte Martin Blumenau (FM4) dazu aus dem Publikum. Und auch Armin Wolf sagte, die permanenten Rückmeldungen, projiziert auf eine Leinwand ("Twitterwall"), würden ihn überfordern.

Dialog unter Freunden

Wolf nutzt den Kurznachrichtendienst Twitter vor allem zum Dialog, der für ihn angesichts seiner rund 9.500 "Follower" gerade noch bewältigbar sei. "Der Begriff Follower ist aber sehr seltsam, ich bin heute nicht ganz darüber hinweg." Mit Twitter möchte er vor allem auch jüngere Zuseher seiner Sendung ansprechen. "Bei Facebook hatte ich vor einem Jahr noch den Eindruck, es ist eher ein privates Medium. Außerdem hab ich keine 70 Freunde. Es ist sehr interessant was da mit dem Begriff Freund passiert." Menschen, die gemäß dem Veranstaltungsmotto nur sind, weil sie bloggen, tun Wolf "sehr leid".

Die Privatsphäre

Mit den vielen Freunden ergebe sich kein neuer sozialer Raum, sondern vor allem intensivere Kontakte zu bestehenden Kontakten, betonte Herwig. Auch die Privatsphäre kam zur Sprache. "Neben dem Datenschutz gibt es noch einen anderen Aspekt. Kommunikationen, die normalerweise für einen bestimmten Kreis gedacht sind, sind plötzlich sehr vielen Menschen zugänglich, das wird in der Fachliteratur als 'Context-Collapse' bezeichnet." Reichert sieht im Umgang mit der Privatsphäre einen neuen Diskurs: "In den Neunzigerjahren ging es darum mit Identitäten zu spielen, sich zu anonymisieren. Mit der Kommerzialisierung der sozialen Netzwerke, die es erst seit wenigen Jahren gibt, sind wir bereit unsere Daten bereitzustellen." Wolf ärgern im Internet vor allem anonyme Diffamierungen. "Da würden neunzig Prozent nicht erscheinen, wenn alle ihren Namen darunter schreiben müssten."

Journalisten, Blogger und das politisches Potential

Intensiv diskutiert wurde auch das Thema Journalisten und Blogger, wobei die Diskussion, wie sooft, überlagert wurde von dem Behauptungskampf zwischen alten und neuen Medien. "Würde die New York Times Bankrott gehen, hielte ich das für eine echte Katastrophe.  Da können 300 Blogs entstehen, von mir auch 30.000. Da würde ich nicht tauschen wollen", sprach sich Wolf für traditionelle Printmedien aus. Nicht alle teilten diese Meinung. Das politische Potential sozialer Medien bei Protesten, sei es im Iran oder bei den aktuellen Uniprotesten, sei vorhanden, werde allgemein aber überschätzt, so der Grundtenor. "Blogger würden sich als eine Art Feuerwehr sehen, die schnell zum Einsatz rufen", meinte Herwig. Bei all den Diskussionen rund um neue Medien solle man sie nicht verdammen, meinte Wolf. "Die Menschheit wird es überleben!" (krm, derStandard.at, 13.11.2009)