Regisseurin Sabine Mitterecker trägt die alpine Finsternis hinein ins Museum.

 

Foto: 3007 Wien

Wien - Ein junger Medizinpraktikant wird von einem Arzt in das unwirtliche Gebirgsdorf Weng entsandt. An diesem gottverlassenen Ort, in dem die Rückständigkeit regiert, wo nichts als "dumpfe Geschlechtlichkeit" herrscht, soll er den Bruder des Auftraggebers, den übergeschnappten Maler Strauch, beobachten und über seine Eindrücke Rechenschaft legen.

Eine Reise mitten hinein ins Herz der Finsternis: Im Wiener Mumok, wo am Sonntag, 20 Uhr, Sabine Mittereckers szenische Einrichtung von Thomas Bernhards Debütroman "Frost" (1963) Premiere hat, ist es ein einsamer Schauspieler (Andreas Patton), der die Gänge und Ausstellungsräume des Kunsttempels abschreitet: sinnierend, die Rollen wechselnd, von der Sprechmaske des mittlerweile gealterten Arztes hinüberschlüpfend in die Redefiguren des exzentrischen Malers.

Frost markierte den Eintritt des damals 32-jährigen Bernhard in die Weltliteratur. "Man merkt seiner frühen Prosa an, dass er unter keinen Umständen Fehler begehen wollte: Das macht sie hochkonzentriert", erklärt Regisseurin Mitterecker, die aus dem Bericht des jungen Famulanten eine Theaterfassung von 27 Seiten extrahiert hat.

Warum aber Frost? Die gebürtige Böheimkirchnerin Mitterecker hat vor wenigen Jahren am Linzer Landestheater zwei denkwürdige Bernhard-Produktionen abgeliefert. Im viel strapazierten Heldenplatz entdeckte sie die Selbstbestrafungsrituale eines in Schuld verstrickten Großbürgertums: ein großer Abend, entwickelt aus dem Geist von Pasolini oder Bunuel.

In Frost erkennt Mitterecker die Keimzelle des späteren Bernhard'schen Werks. Ein junger Naturwissenschafter wechselt die Ufer: Er wird durch das Charisma des Malers in das Reich der Kunst hinübergezogen. Das Ich des Famulanten gerät prompt in Auflösung. Mitterecker: "Er sagt am Ende: Ich werde dem Bruder gegenüber sitzen und kein Wort herausbringen. Aber ich werde wissen, warum der Maler Wien verlassen hat, warum er ins Gebirge gezogen ist, warum er seine Bilder verbrannt hat."

Entstehung des Sounds

Eingehüllt in einen betörenden Prosa-Sound würden in "Frost" die großen Bernhard-Begriffe zum ersten Mal durchgespielt: Finsternis, Krankheit, Tod, Natur und Ekel.

Mitterecker, die für ihr Projekt eigens eine mit 63.000 Euro subventionierte Theatergruppe gegründet hat, glaubt, politische Witterung aufgenommen zu haben: "Im Famulanten ist das Großherrentum des Nazi-Sohnes aufgehoben. Er empfindet seinen Auftrag als Zumutung. Er schließt seine Famulatur ab und kehrt in die Hauptstadt zurück. Mir wäre wichtig, wenn das Ende des Abends offen bliebe: Ist aus dem Mann später einfach ein bornierter Arzt geworden? Oder ist er im Lichte der gesammelten Erfahrungen ein Schläfer, der im Geheimen die Revolte von 1968 vorbereitet?"

So ungewöhnlich der Spielort erscheint - der Soloabend ist das Produkt eines rigorosen Verschlankungsprozesses. Die gewählte Fassung erscheint der Regisseurin nach langen Verhandlungen mit dem Verlag nunmehr als "ideal". Die Probenarbeit erfolgte nach Maßgabe des Museumsbetriebes. Bernhard, so Mitterecker, habe der österreichischen Gesellschaft mit Frost ins Gesicht geschaut: "Und Ekel bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als humanistische Verzweiflung." (Ronald Pohl/ DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2009)