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Martin Wabl, im Bild beim Prozess, den Kampuschs Mutter gegen ihn anstrebte. Auch laut dem pensionierten Richter hätten "Polizei und Gericht Vogel lange ignoriert" .

Foto: APA/Leodolter

Graz/Wien - Thomas Mühlbacher, Grazer Oberstaatsanwalt und Chefermittler in der Causa Kampusch, telefoniert seit drei Tagen fast ununterbrochen. Seit am Wochenende bekannt wurde, dass Zweifler an der Einzeltätertheorie im Entführungsfall Kampusch recht gehabt haben könnten, läuft sein Telefon heiß. Thomas Vogel, ein Zeuge in Deutschland, will Videomaterial haben, auf dem Natascha Kampusch mit einem Mann namens Ernst H., dem Freund und Geschäftskollegen ihres Entführers Wolfgang Priklopil, zu sehen ist (siehe "Domain-Händler: Kampusch war auf Video von Porno-Seite").

H. soll auch der Letzte gewesen sein, der Priklopil kurz vor dessen Selbstmord gesehen hat. Zuvor hatte sich die Soko der Polizei an Mühlbacher gewandt, weil man das Material von der deutschen Polizei nicht bekommen hatte. "Diesen Hinweisen nicht nachzugehen, wäre wohl ein Kunstfehler gewesen" , sagt der Staatsanwalt zum STANDARD, betont aber, dass "es noch weitere Zeugen gibt, die genauso wichtig sind, vornehmlich in Österreich" . Die Richtung der Ermittlungen werde jedenfalls durch diesen Zeugen bestätigt.

Ob der "Kunstfehler", die Hinweise von Vogel zu ignorieren, 2006 bereits den damals ermittelnden Polizisten passiert sei, wie Vogel, aber auch der pensionierte Richter Martin Wabl behaupten, wollte Mühlbacher nicht kommentieren. Ebenso möchte er nichts über das Material aus Deutschland selbst sagen, "bevor ich es nicht in Händen halte, das wird hoffentlich bis Ende der Woche sein" .

Wende "nicht überraschend"

Ludwig Adamovich, Ex-Verfassungsgerichtshofchef und Leiter der Evaluierungskommission in der Causa Kampusch, ist über diese Wendung "natürlich nicht überrascht" . Er betont aber auch, dass Vogel nicht von der Evaluierungskommission ins Spiel gebracht wurde. Allerdings gingen bisherige Recherchen auch "in diese spezifische Richtung" , die das angebliche Videomaterial nahelegt. "Jetzt kommt es auf die Abwägung der bisherigen Aussagen von Zeugen an" , glaubt Adamovich, "da können sich noch interessante Zusammenhänge auftun" .

Gegen H., den Freund und Kollegen Priklopils, wird nun ermittelt, Untersuchungshaft werde nicht verhängt, erklärt Mühlbacher, "da er Vermögen in Österreich hat und keine Fluchtgefahr" bestehe. H. hatte bei einem Prozess in Gleisdorf 2008 einen skurrilen Auftritt mit Sonnenbrille und Perücke geliefert. Dort hatte ihn Wabl als Zeugen geladen, weil Brigitta Sirny, die Mutter von Kampusch, Wabl wegen seiner wiederholten Behauptung, sie sei in die Entführung der Tochter involviert gewesen, klagte.

H. gab vor Gericht an, sich nicht mehr genau an den Tag des Selbstmords Priklopils erinnern zu können. Auch wollte er nicht erklären, warum er mit Kampusch nach Priklopils Tod Kontakt hielt. Bei der Verhandlung wollte H. zunächst nicht aussagen, weil jemand mit einem Handy ein Foto von ihm machen könnte. Einem Pressefotografen schlug er schließlich ins Gesicht. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD-Printausgabe, 10.11.2009)