Mit Faszination und Neugier beobachte ich die aktuelle Protestbewegung unter den Studierenden. Hier wurde aus einer spontanen Aktion einer kleinen Gruppe im Nu eine Bewegung, die offenbar auch über einen langen Atem verfügt - und bevor die ÖH noch wusste, wie ihr geschah, war sie mehr oder weniger obsolet. Die mit der schwarz-blauen Novelle des Hochschülerschaftsgesetzes in Kraft getretene Zerstörung der ÖH als gewählte und damit auch spürbare Vertretung der Studierenden wurde gewissermaßen konsequent zu Ende gedacht und (nach-)vollzogen.

Signifikant in diesem Zusammenhang: Mit viel Entschlossenheit (wenn auch nicht immer mit gleich viel Erfolg) wehren sich die Akteure gegen Vereinnahmung und Ideologisierung. So wurde etwa eine AG "Ideologiefreiheit" gegründet (die inzwischen AG "Entradikalisierung" heißt), um sich mit diesen "Übergriffen" auseinanderzusetzen.

Neue Subkultur

Ihre organisatorische Substanz bezieht die Bewegung aus den Netzwerken und Möglichkeiten, die durch "Social Software" geschaffen wurden: Hier protestiert auch eine neue Subkultur, deren Ausformung schon seit Jahren im Internet beobachtbar ist. Ihr Wesensmerkmal: ein komplett geändertes Verständnis von sozialer Interaktion, möglich gemacht durch die Allgegenwart mobiler Kommunikationsgeräte (die diesen Trend mehr und mehr reflektieren) und durch die Entwicklung neuerer Kommunikationsangebote im Internet (Buzzword "Web 2.0" ). Sie zu verstehen, ohne Teil davon zu sein, ist mittlerweile nahezu ausgeschlossen. Was sich nicht zuletzt auch darin manifestiert, dass die zentralen Ausdrucksformen dieses "Untergrunds" von außen/oben regelmäßig lächerlich gemacht (Youtube), kriminalisiert (Austausch digitaler Medien) oder beschimpft werden (Computerspiele).

Das Transparent "Chuck Norris studiert in Mindeststudienzeit" , das auf der Demo letzten Donnerstag zu sehen war, ist ein deutlicher Ausdruck dieser Subkultur und damit auch der Kluft zwischen Protest und Politik (deren bisherige Äußerungen primär von der - irrigen - Überzeugung geprägt schienen, man könne den Protest aussitzen). Dieses Plakat ist ein Insider-Witz, ein Sich-Zunicken, ein Ausdruck der Zusammengehörigkeit und gleichzeitig ein klares Signal an die Außenstehenden: Ihr habt ja keine Ahnung, was hier läuft. Die Kluft der Generationen war in mancherlei Hinsicht noch nie so tief wie heute. - Man möchte gern drunterschreiben: "Jessas, das Internet ist hier."

Mit solchen Insider-Witzen verdeckt die Bewegung aber zugleich, dass man selber auch recht wenig Ahnung hat, was hier "eigentlich" läuft. Nur in einem mühsamen und vergleichsweise langsamen Prozess hat man zu gemeinsamen Forderungen gefunden, die sich offenkundig auch noch fast täglich ändern; ein konzertiertes Auftreten scheint nicht nur schwierig, sondern nahezu unmöglich zu ein. - Man mag das auf mangelnde Kompatibilität zwischen "neuen" und "alten" Ausdrucks- und Verhandlungsformen zurückführen, im Endeffekt bleibt der dominierende Eindruck einer alles durchdringenden Heterogenität. Diese Uneinheitlichkeit aber hat durchaus ihren eigenen Reiz - und entfaltet so viel Energie, dass man es schafft, Zigtausende auf die Straße zu bringen, ohne sich in der Folge an den "gemeinsamen Unterschieden" zu reiben.

Man könnte fast meinen, dass wir hier der jungen Generation beim Ausprobieren neuer Formen der Organisation von Mitsprache und Mitbestimmung zuschauen dürfen. Nachdem die "repräsentative" Demokratie in ihrer momentanen Form bei vielen jegliches Vertrauen verspielt hat, ist so was auch hoch an der Zeit, selbst wenn das, was hier alles passiert, vermutlich weder übertragbar noch verallgemeinerbar sein wird.

Ich werde hier auch sicher nicht prognostizieren (können), wo diese Protestbewegung hingeht. Ihre Motive und Ziele sind sehr komplex, nur schwer in wenige Worte zu fassen. Was wir alle wissen, ist nur: dass Ausbildung und Forschung an den österreichischen Universitäten seit Jahren krass unterfinanziert sind und die Studierenden nach Jahren des (mehr oder weniger) schweigsamen Duldens den Mut aufbringen, sich gegen diese fortdauernden Bildungs-Skorbut aufzulehnen. Es mag ihnen an politischer Erfahrung mangeln - viel wesentlicher aber ist die Erfahrung, die sie im Zuge dieser Bewegung mit neuen Optionen ungelenkter Kommunikation und Entscheidungsfindung machen können. Insofern ist den Studierenden viel Ausdauer und Erfolg zu wünschen. Ich für meinen Teil lasse mich überraschen - und bleibe neugierig. (Peter Purgathofer/DER STANDARD-Printausgabe, 7./8. November 2009)