Foto: das weisse haus

Wenn Sie die enge Treppe des hohen Steffl-Turms hinaufsteigen, tun Sie schon Buße. Oben angekommen, wird Ihnen zudem vergeben sein. Nicht unbedingt von Gott, aber zumindest von Michail Michailov. Sie brauchen nur den Blick gen Norden zu richten: Auf dem kupfergrünem Flachdach des Gebäudes Wollzeile 1 gleich neben der Erzdiözese Wien werden Sie den 30 Meter langen Schriftzug "ICH FERGEBE DIR" erkennen können.

Unter dem Dach befindet sich der Kunstverein "das weisse haus". Alexandra Grausam und Elsy Lahner, die beiden Gründerinnen, hatten Michail Michailov im Frühjahr für drei Monate einen Projektraum zur Verfügung gestellt. In der Folge ist nun diese vielschichtige, vom Otto-Mauer-Fonds mitfinanzierte Arbeit entstanden.

Der in Wien lebende Künstler, 1978 in Bulgarien geboren, hat extra goldene Buchstaben verwendet: um der Ästhetik des ersten Bezirkes gerecht zu werden. Leider hat er aber so seine Probleme mit der Orthografie. Und daher ist der Schriftzug, der sich chamäleonartig den Wetterverhältnissen anpasst (und mitunter nur schwer erkennbar ist), nicht hundertprozentig perfekt.

Wer nicht weiß, dass die Arbeit von Michail Michailov stammt, wird vielleicht verwirrt sein: "Wer ist dieses Ich, das da vergibt? Und wem wird eigentlich vergeben? Mir? Oder etwa der Kirche?" Im Pressetext heißt es: "Die unzähligen Steine, die einem Ausländer, einem Künstler, einem Menschen, der aus der Norm fällt, in den Weg gelegt werden, werden hier in Erinnerung gerufen - und vergeben."

Skurril ist natürlich, dass sich dieses Kunstwerk zwar im öffentlichen Raum befindet - aber von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden kann. Man muss schon mit einem Heißluftballon darüber schweben - oder eben viele enge Treppen steigen. Was nicht ganz stimmt: Auch von der Pummerin aus hat man Blick auf die sonderbare Botschaft. Und zu dieser geht - wie auch zu den Räumlichkeiten des Kunstvereins "das weisse haus" - ein Lift. Man muss also gar nicht Buße tun: Michail Michailov "fergibt" einem trotzdem. (Thomas Trenkler, derStandard.at, 01.11.2009)