Josef Pröll wurde von Wilhelm Molterer mit der Entwicklung von Perspektiven beauftragt, jetzt gab er als Parteichef gleich ein ganz neues Programm in Auftrag.

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Fünf Wertepaare als Basis der ÖVP-Diskussion.

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Wien - Zwischen 50 und 100 Mails erreichen jeden Tag die ÖVP-Zentrale - und vielfach lautet die Frage schlicht, wie sich die eine oder andere konkrete Entscheidung wohl mit den Grundsätzen der Volkspartei vereinbaren lasse. Was nicht immer leicht zu beantworten ist, weil das aktuelle "Wiener Programm" der ÖVP vom April 1995 auch parteiintern wenig bekannt ist - es wurde am selben Tag beschlossen, an dem die ÖVP nach turbulenter Obmannsuche Wolfgang Schüssel auf den Schild hob. Da gab es nicht viel Aufmerksamkeit für Grundsatzfragen.

Unter Josef Pröll ändert sich das. Er beauftragte im Februar seinen Generalsekretär Fritz Kaltenegger mit der Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms. Und Kaltenegger will diesem eine Prägung geben, die während der Schüssel-Jahre nicht gefragt war: Der Parteichef und Bundeskanzler Schüssel war bekannt dafür, dass ihn ideologische Fragen nicht sonderlich interessierten, die ideologische Parteiarbeit wurde von den Notwendigkeiten der Ministerkabinette überlagert. Nachfolger Wilhelm Molterer setzte zwar eine "Perspektivengruppe" unter Josef Pröll ein, programmatische Festlegungen gingen aber auch daraus nicht hervor.

Kaltenegger, der selber in der Perspektivengruppe engagiert war, verweist darauf, dass das auch gar nicht geplant gewesen sei: "Bei den Perspektiven ging es um die Öffnung der Partei. Das ist auch gelungen. Aber jetzt geht es darum, intern zu diskutieren: Wo sind unsere Wurzeln? Wofür stehen wir? Man muss das von der Tagesarbeit entkoppeln."

Daher wird es auch viel Zeit geben: Der Auftakt zur vertiefenden Diskussion wird am 27. November erfolgen - der Programmparteitag wird erst im Frühjahr 2012 angesetzt. Dort soll dann ein Programm beschlossen werden, das "kurz und substanziell ist - da wird es kein Landwirtschafts- oder Bildungskapitel geben", kündigt der Generalsekretär im Standard-Gespräch an. So etwas gehöre in Wahlprogramme. Im Parteiprogramm gehe es dagegen um Werte - um eine aktuelle Positionierung, wie Entscheidungslinien zu verlaufen hätten. Die christlich-sozialen Wurzeln, den Konservativismus und mögliche Synergien mit dem Liberalismus müsse man ebenso berücksichtigen wie die ökosoziale Marktwirtschaft, die Kaltenegger nach wie vor für ein brauchbares Wirtschaftskonzept hält.

Er will fünf Wertepaare als Basis der Diskussion verstanden wissen:

  • Freiheit & Verantwortung: Hier geht es darum, den Bürgern Wahlfreiheit bei der Gestaltung ihres Lebens zu geben.
  • Nachhaltigkeit & Gerechtigkeit: Das ist jener Bereich, dessen konkrete Ausprägung etwa das von Josef Pröll vorgeschlagene Transferkonto sein könnte. "Es geht dabei gar nicht darum, dass wie im agrarischen Bereich alles veröffentlicht werden muss. Aber es soll jeder wissen: Was trägst du bei - und was bekommst du zurück? Das hat doch nichts mit Sozialabbau zu tun", sagt Kaltenegger.
  • Sicherheit & Leistung: Damit schließt Kaltenegger an die Verteilungsgerechtigkeit an - hier werde es um die Grundlagen der Steuerpolitik (Stichwort: "Leistung muss sich lohnen, Arbeit muss sich auszahlen") ebenso gehen wie um die innere Sicherheit, die sich aus dem gesellschaftlichen Zusammenhalt ergibt. Zum gesellschaftlichen Zusammenhalt gehöre auch, dass man Vermögen aufbauen und an die nächste Generation (nach ÖVP-Auffassung: steuerfrei) weitergeben kann.
  • Partnerschaft & Toleranz: Schon im Salzburger Programm von 1972 hatte die ÖVP neue Formen des Zusammenlebens angesprochen, doch für Kaltenegger gilt weiter die Ehe als am ehesten geeignete Form des partnerschaftlichen Zusammenlebens - auch wenn eine andere individuelle Lebensplanung zu respektieren ist. Ins Partnerschaftskapitel dürfte auch das Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft fallen.
  • Subsidiarität & Mitwirkung: Hier will die ÖVP festschreiben, wie künftig die Verwaltung gestaltet werden soll - und wo Österreich in Europa stehen will.

Dass es bei der einen oder anderen Positionierung massive Kritik geben könnte, kalkuliert Kaltenegger vorsorglich ein: "Die Politik ist ohnehin anfällig dafür, der öffentlichen Meinung nachzulaufen - eine Versuchung, der insbesondere die SPÖ oft erliegt. Aber man muss auch den Mut haben, einer in der Bevölkerung gegebenen Meinung entgegenzutreten und sie zu ändern versuchen." (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 2.11.2009)