Bestseller-Autor Daniel Goldhagen sieht im politischen Islam die Bewegung, von der derzeit am ehesten Völkermord ausgeht - etwa im Sudan.

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Eric Frey sprach mit dem Bestseller- Autor.

STANDARD: Sie bezeichnen in Ihrem neuen Buch Genozid als größtes Problem politischer Gewalt in der Welt. Wo müssen wir damit rechnen?

Goldhagen: Alle modernen Diktaturen neigen zu einer solchen Politik. Die Gewalt, die sie aufwenden, um an der Macht zu bleiben, steigt auf solche Höhen, wenn sie herausgefordert werden.

STANDARD: Aber die größten Mörderregime waren die totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts. Ist das heute noch aktuell?

Goldhagen: Das stimmt, aber auch wenn man Hitler, Stalin und Mao abzieht, bleibt eine enorme Zahl von Menschen und Orten, wo Genozid begangen wurde. Alle modernen Diktatoren sind eine Gefahr in dieser Hinsicht, ob sie totalitär sind oder nicht.

STANDARD: Warum sprechen Sie von Eliminationismus und nicht von Genozid?

Goldhagen: Es geht um ein breiteres politisches Phänomen, den Wunsch von politischen Führern, sich Gruppen zu entledigen, die sie hassen, fürchten oder als Hindernis für ihre Ziele betrachten. Dazu wenden sie verschiedene Mittel an: Zwangsübertritte, Verhinderung von Fortpflanzung, das Einsperren in Lagern, Vertreibung und schließlich Massenmord. Der Genozid ist nur ein Instrument in diesem Repertoire, und wann immer er geschieht, werden auch die anderen Methoden angewandt. Das Motiv ist, Menschen zu eliminieren. Das Töten ist bloß ein technisches Mittel.

STANDARD: Heute haben wir es meist mit ethnischen Konflikten zu tun, etwa in Afrika. Ist das das Gleiche?

Goldhagen: Viele Menschen glauben, Genozid ist die Folge von ethnischem Hass. In Wirklichkeit handelt es sich um politische Entscheidungen von Staaten, die gegen bestimmte Gruppen einen Ausrottungskrieg führen. In den frühen Achtzigerjahren fand in Guatemala ein Genozid gegen die Maya statt. Das war kein ethnischer Konflikt, denn die Maya haben nichts getan. Das Regime sah sie als Hindernis für gesellschaftliche Veränderung und beschloss, sie abzuschlachten. Auch in Chile und Argentinien hatte das massenhafte Töten von politischen Gegnern nichts mit Ethnizität zu tun.

STANDARD: Welche Rolle spielt der Hass in der Bevölkerung, den Sie in Ihrem früheren Buch "Hitlers willige Vollstrecker" den Deutschen gegenüber den Juden zuschreiben?

Goldhagen: Für einen Genozid braucht man in der Bevölkerung die Überzeugung, dass eine Gruppe vernichtet gehört. Sonst findet man keine Täter, die die Elimination vornehmen. Aber ohne politische Führung kommt es zu keiner systematischen Ermordung. Überzeugungen zu ändern ist sehr schwer. Aber auf die Handlungen einer Führung kann die Staatengemeinschaft Einfluss nehmen.

STANDARD: Sie bezeichnen den politischen Islam als gefährlichste eliminatorische Bewegung der Gegenwart. Kann man ihn mit Panzern und Bomben bekämpfen?

Goldhagen: Ich bin nicht auf Panzer und Bomben fokussiert, sondern auf die Prävention von Völkermord. Wenn er einmal beginnt, ist es ohnehin bereits zu spät. Was wir ändern können, ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung von potenziellen Völkermördern zu verändern. Diese Leute sind nicht verrückt, sonst wären sie nicht dort, wo sie sind, sondern sie kalkulieren kühl. Sie müssen wissen, dass sich eine eliminatorische Politik nicht auszahlt, dass sie einen hohen Preis bezahlen werden. Das geht nur durch Abschreckung, und das erfordert manchmal Gewalt oder zumindest deren Androhung.

STANDARD: Gibt es dafür Beispiele?

Goldhagen: Ich habe den bosnischen Präsidenten Haris Silajdzic gefragt, ob Slobodan Milosevic den Krieg begonnen hätte, wenn er gewusst hätte, dass das ihm das Leben kosten wird. Silajdzid hat gesagt: Ich glaube nicht. Milosevic war überzeugt, dass er damit davonkommen wird. Und im Sudan wird viel zu selten darüber gesprochen, dass das Regime vor Darfur eine noch größeren genozidalen Angriff unternommen hat, auf die Völker von Südsudan. Und nichts ist ihnen passiert. Was hat Präsident Omar al-Bashir davon gelernt? Dass er es wieder machen kann. Und er hat recht gehabt. Es wird ihm auch diesmal nichts passieren.

STANDARD: Aber wir sehen ja in Afghanistan, wie schwierig Militärinterventionen sind.

Goldhagen: Wenn es einmal so weit ist wie in Darfur oder in Afghanistan, von wo ein eliminatorischer Angriff auf die USA ausging, dann ist es zu spät. Aber wir müssen die Botschaft an alle Diktatoren schicken, dass sie für ihre Taten bezahlen werden. Das wird nicht überall funktionieren, aber es reicht, wenn es einmal funktioniert. Wir sollten nie die Fähigkeit von Politikern unterschätzen, aus Erfahrungen zu lernen.

STANDARD: Diese Form der Abschreckung ist auch das Konzept des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC). Dennoch sind Sie skeptisch.

Goldhagen: Wir sollen uns freuen, dass es den ICC gibt, er ist die Grundlage eines neuen Justizsystems. Aber er verfolgt zu wenige Menschen, ist zu langsam und kann sich nicht durchsetzen. Der Haftbefehl gegen Bashir wurde fünf Jahre nach Beginn des Völkermords in Darfur erlassen.Das ist viel zu spät. Und es handelt sich nicht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern um Ausrottungskriege. Wir können darauf nicht mit Polizeiaktionen und einem Justizsystem reagieren, sondern so, wie man auf Krieg reagiert.

STANDARD: Sie fordern die Auflösung der Uno, die doch sehr wohl für die gleichen Werte eintritt.

Goldhagen: Die Uno ist mehr ein Ermöglicher von Völkermord als ein Verhinderer. Ihr Prinzip ist Souveränität, und das verhindert, zu intervenieren und Völkermord zu stoppen. Die Uno schützt genozidale Mörder. Die Uno ist eine durch und durch undemokratische Organisation ist. Sie sagt zu den Diktatoren der Welt: Ihr seid volle Mitglieder und wir werden euch beschützen. Die Uno hat schön klingende Regeln auf ihren Büchern, aber in der Realität gibt keine Strafen, wenn man sie verletzt. Die Konvention gegen Völkermord besteht nur auf dem Papier, sie wurde noch nie angewandt, um Massenmord zu stoppen.

STANDARD: Wenn man die Uno auflöst, wer soll dann entscheiden, ob eine Intervention gerechtfertigt ist?

Goldhagen: Die Demokratien der Welt, so wie die Nato in Bosnien und Kosovo interveniert hat. Völkerrechrsexperten haben damals gesagt, das sei illegal. Aber sie hat es aus guten politischen und moralischen Gründen getan, und die Welt ist nicht untergegangen. Wenn wir einen wirksames Anti-Eliminationssystem errichten und dies durch eine Aufsichtsbehörde auch durchsetzen, dann würde das rasch als legitim angesehen werden. Nicht von allen, aber der Großteil der Welt würde applaudieren.

STANDARD: Wäre eine Intervention im Iran auf dieser Grundlage gerechtfertigt?

Goldhagen: Im Iran haben wir eine Führung, die die Sprache des Massenmords spricht und einem Todeskult huldigt, die in vieler Hinsicht an die Nazis erinnert. Und sie strebt nach Atomwaffen. Es gibt eine mehr als hypothetische Möglichkeit, dass der Iran eines Tages tatsächlich Atomwaffen verwenden wird. Daher müssen wir alles tun, um ihn zu stoppen. Zuerst mit Diplomatie, aber im Extremfall müssen wir die Atomanlagen militärisch zerstören. Und ich bin zuversichtlich, dass das machbar ist.

STANDARD: Hat US-Präsident Barack Obama recht, dass er mit dem Iran verhandeln will?

Goldhagen: Manchmal muss man verhandeln, so wie die USAeinst mit der Sowjetunion verhandelt hat, eines der größten Massenmordregimes. Wenn die Diplomatie dazu dient, Iran von Atomwaffen abzuhalten, dann ist es sinnvoll. Aber in manchen Situation muss man auch bereit sein, Gewalt anzuwenden. Ich weiß, das ist eine schwierige Entscheidung, aber das ist die Aufgabe von Staatsmännern.

STANDARD: War aus Ihrer Sicht auch der Irakkrieg gerechtfertigt?

Goldhagen: Der Irakkrieg wurde aus anderen Gründen geführt. Aber zwei Fragen kann man dennoch stellen. Ist es im Prinzip richtig, einen Massenmörder zu stürzen, und Saddam Hussein war einer der schlimmsten? Natürlich ja. Aber war es weise, wenn man die Kosten und Nutzen bedenkt? Das ist eine kompliziertere Rechnung. Man darf aber nicht vergessen, dass ohne dem Krieg Saddam immer noch an der Macht wäre und immer noch Menschen töten würde. Und wenn er eines Tages gestürzt worden wäre, dann gebe es die gleichen Kräfte der Gewalt, diedas Land jetzt zerreißen, und vielleicht mit noch schlimmeren Folgen. Denn die US-Truppen waren trotz aller Fehler der Besatzungspolitik eine stabilisierende Kraft.

STANDARD: Und gibt es Fällle, wo Sie gegen eine Intervenion sind, obwohl Genozid stattfindet?

Goldhagen: Ja, etwa bei China und Tibet. Seit Jahrzehnten wird dort eine eliminatorische Politik mit riesigen Opferzahlen betrieben. Aber wir werden dort nicht eingreifen, es lässt sich nicht machen. Wir haben auch keinen Weltkrieg mit der Sowjetunion begonnen, um die Gulags zu schließen. Das ist die traurige Wahrheit, dass wir auch mit dem besten Willen nicht alles tun können, um das Töten zu stoppen. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.10.2009)