Nicht ganz der Hüftschwung von Elvis, aber auch nicht ohne: Timothy Carey tanzt in und als "Poor White Trash" (1957/1961).

Foto: Viennale

Jetzt bloß keine Masche fallen lassen - sonst könnte der Ausschluss aus dem ersten Strickklub der Stadt drohen:Timothy Carey in seiner Leibrolle als Mister Tweet Twig in "Tweet's Ladies of Pasadena" (1970).

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 Die Viennale zeigt ein Tribute für US-Charakterdarsteller Timothy Carey.

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Herr Tweet Twig, ein groß gewachsener Kerl in Jeans-Latzhose, kariertem Hemd und mit lustigem Gamsbart am Hut, ist das einzige männliche Mitglied im "Lass keine Masche fallen" -Strickklub seiner Heimatstadt Pasadena. Im Haushalt des passionierten Handarbeiters leben eine kleine Menagerie und seine Frau, eine Catcherin aus Großbritannien, die John Waters' Muse Divine verblüffend ähnlich sieht. Wenn sich Herr Tweet - mit oder ohne Ziege - und die Rollschuh laufenden alten Damen aus dem Klub auf die Straßen von Pasadena begeben, dann führt das regelmäßig zu Verkehrschaos, Beschimpfungen und Abmahnungen durch die Exekutive. Aber auch zu viel Freude bei Passanten.

Nicht zuletzt diese unverstellten positiven Reaktionen von Zufallszuschauern könnten den US-Schauspieler Timothy Carey seinerzeit dazu bewogen haben, sein Projekt Tweet's Ladies of Pasadena gleich als eine TV-Sitcom zu konzipieren. Die Arbeit daran nahm jedenfalls jahrelang Zeit und viel Geld in Anspruch - Letzteres kam unter anderem von Careys Freund und künstlerischem Weggefährten John Cassavetes. Aber, so musste der kreative Kopf auf diesem quietschbunten, albernen und sehr unterhaltsamen Slapstick-Irrsinn schließlich ernüchtert zur Kenntnis nehmen: "Alle liebten diese Kombination - mit Ausnahme der Fernsehleute." Vom Großprojekt seiner Toodaloo Productions ist immerhin ein 70-minütiger Pilotfilm übriggeblieben, den die Viennale in ihrer Auswahl von Arbeiten von und mit Carey nunmehr zeigt.

Sündenfall mit Hüftschwung

Der unverwechselbare und unermüdliche Timothy Carey, geboren 1929 in New York, gestorben 1994 in Los Angeles, war in den frühen 80er-Jahren, als er Tweet's Ladies endgültig ad acta legte, immerhin bereits gewohnt, dass seine Ideen und deren Umsetzung nicht auf ungeteilte Zustimmung und vorbehaltlose Unterstützung zählen konnten. Schon in sein Regiedebüt waren vier Jahre Vorbereitungszeit geflossen. 1962 hatte The World's Greatest Sinner schließlich Premiere. Ein schwarzweißes, holzschnittartiges B-Movie, das den Ladies in puncto Gaga-Sein nicht wirklich das Wasser reichen kann - die physische Exaltiertheit, mit der Carey hier agiert, ist aber durchaus sehenswert:

Sein filmisches Alter Ego ist diesmal ein Versicherungsangestellter namens Clarence Hilliard, der nach einem Erweckungserlebnis der etwas anderen Art seinen Job kündigt, die "Eternal Man's Party" gründet und sich selbst zu Gott erklärt. Anhänger gewinnt er vor allem durch den klugen Einsatz von Rock 'n' Roll und die öffentliche Zurschaustellung seines rhythmisch vibrierenden Leibes. Als Rockgott und Freund aller Frauen legt Hilliard, dessen Manschetten ein schnörkelig appliziertes "god" ziert, einen rasanten Aufstieg hin. Bibelfeste ahnen, dass das nicht lange gut gehen kann.

The World's Greatest Sinner, mit dem die Viennale eine Carey-Gala bestreitet, wird in nagelneuer Kopie auch einen Kinostart in Österreich haben. Das Festival hat abgesehen von einem Siebenminüter namens Cinema Justice, gewissermaßen einem Stück Carey'scher Aneignungskunst aus dem Jahr 1972, außerdem vier Filme mit Carey als Darsteller ausgewählt: Stanley Kubricks Kriegsdrama Paths of Glory (1957) und die B-Movie-Rarität Poor White Trash (1957/1961), in der Carey in den Bayous von Louisiana den skrupellosen und unberechenbaren Gegenspieler eines kreuzbraven Yankees (Peter Graves) mimt. Plus Bob Rafelsons Pop-Turbulenz Head (1968) mit den Monkees und John Cassavetes' Minnie andMoskowitz (1971). Der Sohn des Multitalents, Romeo Carey, zeigt das einstündige "documentary work-in-progress" Making Sinner. (Isabella Reicher, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 29.10.2009)