Moderator-Message: Guten Tag, Gudrun Harrer ist soeben eingetroffen, wir freuen uns auf Ihre Fragen.

Moderator: Guten Tag, Gudrun Harrer ist soeben eingetroffen, wir freuen uns auf Ihre Fragen.

ModeratorIn: Willkommen im derStandard.at-Chat

Gudrun Harrer: Guten Tag, ich freue mich wieder hier zu sein, Themen gibt es ja zur Genüge.

Enduser: Was wurde aus der Protestbewegung im Iran, ist die eingeschlafen oder berichten die westlichen Medien nicht mehr davon ?

Gudrun Harrer: Eingeschlafen ist sie ganz bestimmt nicht, aber zu großen Kundgebungen kommt es momentan selten. Anfang November ist wieder etwas geplant. Aber die Opposition führt teilweise sehr effektive subversive Aktionen durch: da werden z.B. Geldscheine mit Parolen beschrieben, und die Staatsmacht ist völlig hilflos, sie kann ja die Geldscheine nicht alle einziehen. Wahr ist leider auch, dass das Thema etwas aus der Medienberichterstattung gerutscht ist, leider ist das ein strukturelles Problem der Medien. Ich nehme das als Anregung bald wieder etwas darüber zu machen.

ModeratorIn: Userfrage per Mail: Kann Karsai – auch wenn er die Stichwahl gewinnt – überhaupt noch ein von der Bevölkerung respektierter Präsident sein?

Gudrun Harrer: Das ist in der Tat schwierig, er ist schwer beschädigt. Aber die große Gruppe, die er repräsentiert, möchte ihn natürlich nach wie vor haben und ist eher verärgert, dass das ganze verzögert wird. Übrigens hätte es auch Abdullah Abdullah, sein Herausforderer bei den Stichwahlen, als Präsident nicht leicht.

Flat Decider™: Sowjets und zuvor Briten mussten schließlich nach verlustreichen Kämpfen aus Afghanistan abziehen – schaffen es die US-geführten Streitkräfte?

Gudrun Harrer: Afghanistan ist wirklich ein hartes Pflaster, und das ganze Territorium hat noch keiner wirklich kontrolliert. Es geht auch für die USA heute fast schon darum einen Zustand herzustellen, den sie als halbwegs stabil verkaufen können, bevor sie sich zurück ziehen. Aber davon sind wir meilenweit entfernt. Momentan können sie aber nicht Afghanistan sich selbst überlassen.

questions: Werden die USA mehr Truppen nach Afghanistan schicken?

Gudrun Harrer: Ich rechne schon damit. Obama hat ja jetzt schon zusammengerechnet mehr Truppen im Irak und in Afghanistan, als Bush je hatte. Man muss sich aber auch anschauen, wie die Truppen zusammengesetzt sind, d.h. wie viele kämpfende, wie viele im Support und wie viel im Training der afghanischen Sicherheitskräfte.

avaya1: Wann werden die USA die Region verlassen können?

Gudrun Harrer: Wenn ich diese Frage sinnvoll beantworten könnte, dann sollten Sie mich zumindest für den Pulitzerpreis vorschlagen.

theEdge: Einfache Frage: Warum? Warum wurde damals der Krieg begonnen? Hat der "Krieg gegen den Terror" einen, aus Ihrer Sicht, tieferen Sinn und was wäre, Ihrer Meinung nach, eine adäquate Abzugsstrategie um den entstandenen Schaden minimal zu halten?

Gudrun Harrer: So einfach ist die Sache eben nicht. Es war ja wirklich so, dass die Taliban Al-Kaida Unterschlupf gewährt haben. Ich denke aber, es war ein Fehler beides einfach gleichzusetzen, d.h. mit den gleichen Mitteln zu bekämpfen. Das tut im Grunde Obama auch noch, wenn er sagt, er kämpft in Afghanistan dafür, den Westen vor Terrorismus zu schützen. Damit treibt er die Taliban, die auch eine paschtunische Bewegung sind, erst recht wieder den anderen Islamisten in die Arme, wie man jetzt an der Ausweitung der Attentate in Pakistan auf nichtpaschtunische Gebiete sieht. Dazu brauchen sie Verbündete. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich denke schon, dass Obama recht hat, wenn er viele Ressourcen in Wiederaufbau und Entwicklung stecken will. Man sollte sich jedoch anschauen, ob die Instrumente, die im Moment dafür eingesetzt werden, passend sind. Ich denke da besonders an die sogenannten PRTs, die Provincial Reconstruction Teams, die jetzt vermehrt in Kritik geraten. Aber das ist ein kompliziertes Thema.

Flat Decider™: Was ist der Unterschied zwischen den Mudjahedin, die die Sowjets bekämpften, und den heutigen Taliban? Gibt es personelle Überschneidungen?

Gudrun Harrer: Also erst einmal sind die Taliban, wie schon gesagt, eine paschtunische Bewegung. Und sie haben die diversen islamistischen Politiker und Warlords, die das Vakuum nach Abzug der Sowjets gefüllt haben, ja aus Pakistan vertrieben. Aber selbstverständlich gibt es Überschneidungen und Lagerwechsel.

Station Sloterdijk: liebe frau harrer, vor ein paar tagen gab es einen anschlag an der grenze iran-pakistan. glauben Sie dass der iran in seinen grenzen durch terroristen bedroht ist?

Gudrun Harrer: Sunnitische Aktivitäten und auch sunnitischen Terrorismus gegen das schiitische Regime hat es früher auch schon gegeben. Die Frage ist gerade deshalb besonders heikel, weil gerne ins Treffen geführt wird, dass der Iran so viele unterdrückte Minderheiten hat, die nach Freiheit streben, d.h. dass das ein Staat ist, wie etwa der Irak, ein mehr oder weniger künstlicher, von anderen geschaffener Staat, den Zentrifugalkräfte zerreißen könnten - oder nach Willen mancher sogar sollten. Ich glaube aber, dass der Fall Iran anders liegt. Es ist ein alter Staat mit alten Grenzen, dessen Minderheiten sich durchaus auch auf eine iranische Identität beziehen. Dass Konflikte auch von außen geschürt werden, würde ich nicht ausschließen. Es muss aber auch etwas da sein, das man schüren kann.

Flat Decider™: Wie finanziert sich die sunnitische Jundollah?

Gudrun Harrer: Wie sich die meisten solcher Gruppen finanzieren, teilweise durch "Handel", will sagen Wirtschaftskriminalität wie Schmuggel und das Gebiet ist ja ein Eldorado mit Drogen, Waffen und allem möglichen. Dass in diesem Fall auch von extremistischen Sponsoren von außen finanziell mitgeholfen wird, lässt sich auch stark vermuten. Iran beschuldigt ja Pakistan, was dabei immer mitschwingt, ist ein Verdacht gegen Saudi-Arabien - wie ja auch Saudi-Arabien die gleichen Beschuldigungen gegen Teheran erhebt, etwa gerade im Konflikt mit den zaiditischen (schiitischen) Rebellen im Jemen.

avaya1: wird der iran mit der IAEO zusammenarbeiten? Baut ahmadinejad wirklich an der atombombe?

Gudrun Harrer: Teheran wird wie immer noch möglichst viel zu seinen Gunsten herausverhandeln wollen, wenn Sie den anstehenden Deal meinen, bei dem es darum geht, dass das niedrig angereicherte iranische Uran in Russland zu Reaktorbrennstoff weiterverarbeitet werden soll. Das ist ja eigentlich von der Frage zu trennen, wie es überhaupt im Atomstreit weitergeht. Selbst wenn der Iran sein angereichertes Uran ins Ausland schaffen lässt - und es deshalb nicht zum Bau einer Bombe nützen kann - , ist ja das Problem der Urananreicherung, deren Stopp der UNO-Sicherheitsrat verlangt, nicht gelöst. Zu Ihrer zweiten Frage kann ich nur zitieren was die meisten Experten meinen: Der Iran hat höchstwahrscheinlich an allen Aspekten eines Atomwaffenprogramms geforscht, d.h. aber nicht dass er notwendigerweise schon eine Waffe entwickelt. Die meisten unabhängigen Experten gehen eher davon aus, dass die strategische Entscheidung für eine Bombe noch nicht gefallen ist, dass sich Teheran jedoch die Option auf eine Bombe sichern will.

livjaeger: was wird die obama-politik gegenüber dem iran werden?

Gudrun Harrer: Diese Frage kann man erst annähernd beantworten, wenn man weiß, ob es in den nächsten Tagen einen Durchbruch zum Atomdeal (siehe oben) gibt. Sehr interessant ist zu beobachten, dass momentan Paris härter auftritt als Washington: während die USA den Hinweis auf schärferer Sanktionen zumindest nicht dauernd vor sich hintragen, setzt Frankreich dem Iran ziemlich das Messer an.

First of the Few: Falls es - in letzter Konsequenz leider doch - zu einem militärischen Vorgehen Israels gegen die iranischen Anlagen kommt (wie Sie heute Kouchner erwähnten), wo würden die Israelis ihrer Meinung nach drüberfliegen dürfen, über Saudi-Arabien, die Tür

Gudrun Harrer: Das ist die Einserfrage. Sie haben recht, kein Land in der Region will, dass der Iran eine Bombe oder auch nur eine Option auf die Bombe hat. Das kommt strategisch fast schon auf das selbe hinaus. Zu Ihrer Frage: Vor ein paar Wochen hätte ich noch auf die Türkei getippt. Gerade in den vergangnen Tagen hat sich das türkisch-israelische Verhältnis weiter verschlechtert. Dass die irakische Regierung die Genehmigung erteilt, kann man ausschließen. Sie hätte natürlich keine Möglichkeit etwas dagegen zu unternehmen, und falls es die USA erlauben würden, würden sie ihre Abkommen mit dem Irak grob verletzen. Saudi-Arabien ist das Land in der Region, dass die iranischen Hegemonialbestrebungen am meisten trifft, als Schutzherr für palästinensische und islamische Interessen kann es sich so eine Zusammenarbeit mit Israel aber schwerlich leisten, zumindest offiziell nicht. Mit einem Wort: Ich weiß es nicht, es gibt bestimmt verschiedenen Optionen.

Station Sloterdijk: Glauben Sie dass der Iran tatsächlich Hamas und Hisbollah sponsert oder ist das bloß Propaganda?

Gudrun Harrer: Doch, das stimmt, dafür gibt es Belege, und das bestreiten weder die Geber noch die Nehmer.

Station Sloterdijk: was passiert eigentlich, wenn ayatollah khamenei stirbt?

Gudrun Harrer: Hinter den Kulissen wird längst um die Nachfolge gerauft. Ohne Zweifel hätte ein Kandidat der Rechten heute mehr Chancen. Aber der Iran ist immer für Überraschungen gut. Khamenei selbst war ja so ein unwahrscheinlicher Nachfolger Khomeinis.

notfunny: wie könnte der iran in zehn jahren aussehen? gibt es ihrer meinung nach tendenzen zur öffnung der gesellschaft?

Gudrun Harrer: Selbstverständlich, diese Tendenzen zur Öffnung haben ja zum Konflikt mit den Konservativen geführt und zur "Reaktion der Reaktionäre". Ich denke nicht, dass das Regime die prinzipielle Offenheit der Iraner und Iranerinnen durch Repression ausmerzen kann. Wie lange wir darauf warten müssen, dass sich wieder reformatorische Kräfte politisch durchsetzen kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.

ModeratorIn: Userfrage per Mail: War ihrer Meinung nach die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama gerechtfertigt?

Gudrun Harrer: Ich verstehe den Gedanken dahinter, die Unterstützung für Obamas Versuch, das Verhältnis der USA zum Rest der Welt auf eine völlig neue Basis zu stellen. Dem größten Kriegsherren der Welt, der Obama eben auch ist, einen Friedennobelpreis zu verleihen, ist meiner Meinung nach jedoch sehr problematisch. Und für ihn auch nicht sehr nützlich.

ModeratorIn: Wir verabschieden uns und danken für die rege Beteiligung. Leider konnten in einer Stunde nicht alle Userfragen beantwortet werden.

Gudrun Harrer: Danke für die Fragen, die jede einzelne eine viel tiefere Antwort verlangt hätte. Bis zum nächsten mal.