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Protest mit eindeutigem historischem Vergleich vor dem BBC-Fernsehzentrum in London während der TV-Debatte mit Nick Griffin.

Foto: Reuters/MacGregor

Heftige Debatten über die Grenzen der Meinungsfreiheit hat der Auftritt des britischen Rechtsextremisten-Chefs Nick Griffin in einer Diskussionssendung des BBC-Fernsehens ausgelöst.

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Hinterher fühlten sich fast alle bestätigt. Wales-Minister Peter Hain deklarierte Nick Griffins Auftritt beim BBC-Diskussionsprogramm Question Time "zu einem der schlimmsten Fehler in der Geschichte" des öffentlich-rechtlichen Senders. Justizminister Jack Straw sah den Vorsitzenden der rechtsextremen British National Party (BNP) als "Verschwörungstheoretiker" entlarvt: Die BNP stehe "katastrophal" da, weil ihre Politikvorschläge erstmals einer gründlichen Prüfung unterzogen worden seien. Griffin sei "vor unseren Augen zerbröckelt" , urteilte The Sun. BBC-Direktor Mark Byford schließlich rühmte das Studiopublikum für "die harten Fragen" .

Der Sender habe eine Verpflichtung, "alle gewählten Volksvertreter der öffentlichen Debatte zu unterziehen" , begründete das BBC-Management die Einladung Griffins. Mit dem Einzug zweier BNP-Abgeordneten, darunter Griffin selbst, ins Europaparlament ist die Rassistenvereinigung erstmals auf nationaler Ebene vertreten. Die Partei mit ihren knapp 12.000 Mitgliedern nimmt bisher nur Weiße auf, befürwortet die "freiwillige" Repatriierung aller Immigranten und plädiert für den EU-Austritt Großbritanniens.

Dass es diesmal keine normale Question Time war, verdeutlichte nicht nur die Einschaltquote von acht Millionen, rund viermal so hoch wie gewöhnlich. Moderator David Dimbleby ließ zu, dass die gut einstündige Debatte zwischen den fünf Diskutanten und rund 250 Studiogästen zeitweise einem Tribunal gegen Griffin gleichkam.

Griffins Angriffe auf den Islam ("eine verderbliche Religion" ) stießen auf eisiges Schweigen, seine Beschreibung eines "total gewaltlosen" Ku-Klux-Klan-Vertreters wurde höhnisch verlacht. Zum Holocaust könne er "wegen der europäischen Gesetze" nichts sagen, behauptete der Rechtsextremist. Das durchsichtige Manöver konterte Straw souverän: "Sie können hier sagen, was Sie wollen, als Justizminister weiß ich das." Tatsächlich steht auf der Insel, anders als etwa in Deutschland und Österreich, das Leugnen des millionenfachen Judenmordes nicht unter Strafe.

An anderer Stelle machten die Vertreter der drei großen Parteien unfreiwillig deutlich, warum rund eine Million Briten im Juni Griffins Partei gewählt hatten. Ein Studiogast benannte "Labours misslungene Einwanderungspolitik" als eine der Ursachen für den relativen Erfolg der BNP, worauf Straw die konservative Politik der 1960er-Jahre kritisierte, die Tory-Vertreterin vage von "zu schneller Veränderung" sprach und der Liberaldemokrat seine Parteiaktivisten lobte. Da bestand die vieldiskutierte Meinungsfreiheit plötzlich nur noch aus der Freiheit, Nichtssagendes zu äußern.

Griffin kündigte am Freitag Beschwerde beim BBC-Aufsichtsrat an: Er sei einem "Lynch-Mob" ausgesetzt gewesen. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2009)