"Es ist möglich, "Transformers" und Robert Bresson zu mögen. Man muss nicht wählen": Tilda Swinton, Apologetin eines umfassenden Kinobegriffs und Filmfan.

Foto: Robert Newald

Das Gespräch führten Dominik Kamalzadeh und Isabella Reicher.

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Standard: Sie sind nicht nur oft Festivalgast, sondern veranstalten auch selbst welche. Was für eine öffentliche Funktion kommt diesen heutzutage zu?

Swinton: Die Rolle von Filmfestivals besteht nicht nur darin, Filmemachern zu dienen. Ich denke, das Beste, was ein Festival leisten kann, ist, ein Publikum heranzuziehen - es zu ermutigen, der Elastizität des Kinos zu vertrauen. Ich bin auch ein großer Fan der digitalen Möglichkeiten, das Kino beinhaltet das ja, alles ist möglich und zugleich unausweichlich. Sich gegen eine Seite davon zu richten ist verschenkt. Es ist möglich, Transformers und Robert Bresson zu mögen. Man muss nicht wählen.

Standard: Sie beschreiben Ihre Zeit in Hollywood gern als "fact-finding mission", als Spionage. Was haben Sie herausgefunden?

Swinton: Wenn ich das sage, klingt das immer so, als wäre alles so beabsichtigt gewesen. In Wahrheit war es mir nützlich, weil ich ja eingeladen wurde. Ich war so neugierig! Mich interessierte an diesen Abenteuern die Idee des Studiofilms, der durch eine Underground-Welt durchmusste. Und wie ein Film das Gewicht von hundert Millionen Dollar tragen kann. Warum bewahren so wenige dieser Filme ihre Seele, diesen bestimmten Kitzel? Technisch waren sie alle herausfordernd: Benjamin Button, Constantine, auch die Narnia-Filme arbeiten mit brandneuen digitalen Mitteln, und man weiß vorher nie, ob sie funktionieren. Das kam mir von früher sehr bekannt vor, aber die kreativen Entscheidungen fanden nun immer schon viel früher statt, Jahre davor - kreative Entscheidungen, die im Independentbereich zentral sind, darin liegt ja die Arbeit.

Standard: Wie wirkt sich das auf Schauspieler aus?

Swinton: Kurt Russell hat sich etwa einmal bei mir beschwert, dass er die großen Filme so satt hätte. Und ob ich jemand aus dem Indie-Bereich wüsste, der mit ihm arbeiten würde: Ich sagte: "Mann, du bist Kurt Russell!" Dann erzählte er mir diese Geschichte von irgendeinem Kriegsfilm, wo er ans Set kam und man ihm sagte, er soll von vorne auf einen Panzer springen, losballern und hinten runterspringen. Er meinte, ob es nicht besser wäre, das Ganze von hinten anzugehen, damit er nicht überfahren werde. Und sie sagten: "Nein, die Szene haben wir schon gedreht! Wir brauchen nur noch ein paar Aufnahmen mit Ihnen." Es ist nicht uninteressant so zu arbeiten, aber es ist eben etwas ganz anderes.

Standard: Ist Ihnen der Ruhm nun nicht auch behilflich, riskantere europäische Filme zu ermöglichen?

Swinton: Sie sagen Risiko: Des einen Mannes Risiko ist des anderen Wohlfühlbereich. Ich habe eher das Gefühl, das Risiko liegt hinter mir (lacht) - für mich war es riskanter, an einem Studiofilm mit Fincher zu arbeiten ... Es ist wunderbar zu erleben, wie Menschen einen am Flughafen zuwinken, die noch nie etwas von Derek Jarman gehört haben. Vielleicht halten sie ja auch nach meiner Arbeit mit Jarman Ausschau.

Standard: Ein Aspekt am Filmemachen, der Sie interessiert, ist die Technik. Aber etwas, das sich auch bereits seit den Jarman-Filmen durchzieht, sind extravagante Kostüme und Maskeraden - verkleiden Sie sich gerne?

Swinton: Diese Filme sind alle auch Fantasien, Imagination, ich bin ein großer Fantasy-Film-Fan - auch Erick Zonca hat einen Fantasy-Film gemacht. Auch wenn die Leute glauben, ich mache Witze, aber das ist tatsächlich, worum es geht: sich verkleiden und spielen.

Standard: Ist das Ihr Konzept von Schauspiel? Sie sind ja auch keine Schauspielerin, die völlig hinter ihren Figuren verschwindet, es bleibt auch immer Tilda Swinton.

Swinton: Vielleicht hat das mit meiner eigenen Entwicklung zu tun, aber vielleicht auch damit, dass ich tatsächlich nicht weiß, was ich darüber sagen soll. Ich kann nur meine Entscheidungen anführen, sonst nichts. Ich bin mir nicht wirklich bewusst, dass ich ein Handwerk hätte, ich habe bestimmte natürliche Möglichkeiten. Ich weiß, es gibt Leute, die alles über Schauspielerei wissen, die das lernen, unterrichten oder Bücher drüber schreiben. Das ist nicht meins. Ich fühle mich immer sehr meinen Kindern verbunden, wenn sie Verkleiden spielen - es ist nicht viel komplizierter als das.

Standard: Es gibt ein Foto zu Ihrem Festival in Schottland - da sieht man viele Enthusiasten, die einen Lkw ziehen und Sie ganz vorne dran: Ist das ein Bild für die Wirkung Ihres Hollywood-Ruhms?

Swinton: Ich habe ein bisschen ein Problem mit dem Begriff "Hollywood-Ruhm" - es wäre traurig, wenn ich für Leute mit kleinen Projekten nicht mehr greifbar wäre. Es gibt ein anderes Foto, das viel repräsentativer ist: ein kleiner Junge, der mich zieht, die ich alle anderen ziehe. Das Cinema of Dreams-Projekt kommt ja aus der 8½-Foundation, an der Mark Cousins und ich arbeiten.

Standard: Worum geht es dabei?

Swinton: Es geht darum, einen 8½-ten Geburtstag für Kinder einzuführen, der ihr Kino-Geburtstag sein soll. Es wird eine Auswahl von Filmen geben, bekanntere wie der Rote Ballon oder Jacques-Tati-Filme, aber auch schwerer zugängliche wie Arbeiten des Iraners Mohammad Ali Talebi, die Kinder können uns via E-Mail kontaktieren und sich zu ihrem 8½ten Geburtstag einen Film wünschen. Eine Idee hinter den Festivals war, dass man nicht erst auf eine Filmschule gehen muss, um bedeutendes Weltkino schätzen zu lernen.

Standard: Wissen Sie noch, was Ihr erster Film war?

Swinton: Ja - und ich habe ihn im Fernsehen gesehen. Über Jahrzehnte war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich mir diesen Film nur eingebildet hatte: Er heißt Power of Ten, ist von Charles und Ray Eames, dauert rund 17 Minuten und zeigt eine filmische Bewegung, die quasi vom Handteller eines Mannes beim Picknick bis ins Weltall und zurück bis unter seine Haut führt. Und er hat mich weggeblasen, als ich ihn jetzt wiedergesehen habe, es war fast noch besser als damals. Die zwei Kinder im Publikum, die ihn am allertollsten fanden, die waren beide 8½!