Ohne Kollegen wäre Yvonne Werner (30) einsam in Innsbruck. Weihnachten, sagt sie, hat sie schon lange nicht mehr gefeiert

Foto: Dave Bullock

STANDARD: Was bedeutet Heimat für Sie?

Werner: Ich bin seit drei Jahren in Tirol. Davor war ich sieben Jahre in Bayern. Heimat ist für mich dort, wo ich länger bin. Wo ich mir etwas aufbaue und Freunde habe.

STANDARD: Ist es einfach, in Tirol Anschluss zu finden?

Werner: Die erste Zeit war sehr schwierig. Nach einigen Saisonen in Neustift kenne ich jetzt einige Menschen im Stubaital besser. Ich fahre einmal in der Woche zu ihnen, oder sie zu mir.

STANDARD: Hat der Mauerfall 1989 Ihren Heimatbegriff zerstört?

Werner: Nein, das passt, wie es ist. Ich habe einen guten Zeitpunkt erwischt, damals. Um die Kinder hat man sich gut gekümmert in der DDR. Dann kam der Mauerfall, und wir konnten reisen. Das war wichtig, denn ich war sehr sportlich, im Judo-Team. Wir reisten nach Portugal, Schweden oder Österreich.

STANDARD: Warum sind Sie nicht in Thüringen geblieben?

Werner: Das war nie ein Thema. Ich habe Hotelfachfrau gelernt und bin nach der Lehre sofort in die Schweiz gegangen. Mein damaliger Freund ist mitgegangen. Jetzt sind wir aber getrennt.

STANDARD: Würden Sie in Tirol bleiben, wenn Sie sich in einen Tiroler verlieben würden?

Werner: Ja, sicher. Tirol könnte schon meine Heimat werden. Die Gegend ist super, ganz anders als in Gera. Es gibt hier Arbeit für mich und damit viel mehr Möglichkeiten. Außerdem ist Tirol ein Erholungsgebiet, und dadurch sind die Leute viel entspannter. In Gera reisen hauptsächlich Geschäftsleute, und die sind immer gestresst. Ich arbeite dort, wo andere Leute Urlaub machen, und das taugt mir. Tirol liegt außerdem so zentral. Man ist sofort in Deutschland und Italien. 

STANDARD: Vermissen Sie die Heimat Gera?

Werner:  Nein. Ich vermisse meine Eltern, logisch. Ich habe aber deshalb keine Ambitionen, wieder zurückzugehen. Mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt, dass wir uns nur einmal im Jahr sehen. Aber wir telefonieren oft. Und im Urlaub besuchen sie mich hier, oder ich fahre heim. Ein Heimatgefühl für Gera hab ich nicht mehr: Alle Freunde sind wegen der Arbeit weggezogen und leben jetzt nicht mehr dort.

STANDARD: Wie halten Sie Kontakt zu Ihren alten Freunden?

Werner:  Übers Internet. Auf StudiVZ stellen wir Fotos online und wissen so genau, was bei den anderen los ist. So können wir Kontakt halten. Und so machen wir auch aus, wo in der Welt und wann wir uns treffen.

STANDARD: Fühlen Sie sich manchmal heimatlos? Einsam?

Werner:  Nur zu Weihnachten. Das habe ich seit zehn Jahren nicht mehr gefeiert.
STANDARD: Es kommen aber doch viele deutsche Landsleute nach Tirol auf Urlaub ...

Werner:  Ja, stimmt! Die fragen dann, woher ich komme und erzählen Neuigkeiten aus Deutschland. Durch die Gäste bin ich in der Heimat! (Verena Langegger, DER STANDARD Printausgabe, 24./25.10.2009)