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Seit 2007 ist Guido Strunk Senior Scientist am Forschungsinstitut für Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien.

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„Die neuen Karrieren gleichen einem Querfeldeinrennen ohne vorgegebenen Weg“

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Guido Strunk, Senior Scientist am Forschungsinstitut für Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, untersucht Karrieren nach den Methoden der Chaosforschung. Waren in den 1970er Jahren Karrieremuster feststellbar, sind diese in den 1990er Jahren seltener geworden. Ab 2000 lassen sich Muster kaum noch nachweisen. Die untersuchten Karrieren gleichen immer mehr Zufallsbewegungen.

derStandard.at: Was dürfen wir unter dem Begriff "Karriere" verstehen?

Guido Strunk: Jedem, der schon einmal in Barcelona war, sind die auf "-carrer" endenden Straßenschilder vertraut. Ursprünglich ist mit dem Begriff Karriere also ein Weg oder eine Straße gemeint. Berufsbezogen ist Karriere als eine Laufbahn, ein Weg durch das Berufsleben zu verstehen. Eine Bedeutung, die dem Militär mit seinem System von Laufbahnen und Beförderungen entlehnt ist.

Bürokratische Organisationen, wie die öffentliche Verwaltung, bildeten im zivilen Bereich ein typisches Beispiel für planbare und vorhersehbare Laufbahnen. In solchen Organisationen wird Karriere vorstrukturiert. Besoldungsgruppen, Karrieresprünge, aber auch Begrenzungen der Laufbahn sind nicht selten klar vorgegeben und lassen sich nur schwer durchbrechen.

derStandard.at: Kann ich mich angesichts solcher starrer Organisationssysteme überhaupt als selbst verantwortlich für meine Karriere begreifen?

Strunk: Wir sind es gewöhnt, uns als verantwortlich für unsere Karriere zu betrachten. Doch ursprünglich sind vorgezeichnete Karrieren zu einem großen Teil das Ergebnis der Planung von Unternehmen, Organisationen, Politik und Gesellschaft. Die Regeln, dass man diesen oder jenen Beruf nur mit dieser oder jener Ausbildung ausüben darf, sind Beispiele dafür, wie Karrieren vorgegeben werden. Eine Karriere ist dann wie ein Weg durch eine Stadt von A nach B. Egal, ob man sich den Weg selber sucht, Passanten fragt oder ein GPS benutzt, der Weg selber ist immer schon vorgegeben. 

Große Organisationen legen außerdem fest, welche Wege die "richtigen" sind, also wie lange man in welcher Position gewesen sein sollte, um befördert zu werden, wann und unter welchen Bedingungen Gehaltserhöhungen möglich sind. Dieses Bild von Karriere als vorgegebener Weg widerspricht der Vorstellung, dass Karrieren individuell erarbeitet, erkämpft, verteidigt oder erobert werden müssen.

derStandard.at: Gibt es diese "klassische" Karriere noch?

Strunk: Danach fragt die Karriereforschung. Ungewöhnliche Karrieren von Freelancern, Jobhoppern oder neuen Selbständigen werden als "neue Normalität" bezeichnet. Einigkeit in der Forschung herrscht darüber, dass in Zukunft mehr Flexibilität seitens des Einzelnen, aber auch seitens Politik, Wirtschaft oder Ausbildungsinstitutionen gefragt sein wird. Denn vorgegeben und geplant ist an solchen Karrieren nicht mehr viel. Mehr als in früheren Zeiten gleichen diese neuen Karrieren einem Querfeldeinrennen ohne vorgegebenen Weg.

derStandard.at: Wie "wird man was", beziehungsweise was ist unter diesem "was werden" zu verstehen?

Strunk: Drei Aspekte scheinen hier wichtig zu sein. Karriere umfasst objektive und subjektive Aspekte sowie eine Außenperspektive. Damit ist gemeint, dass objektive Tatsachen wie das Gehalt oder die Position in einem Unternehmen individuell sehr unterschiedlich gedeutet werden können. So gibt es Manager mit Millionengehältern, die unzufrieden mit ihrer Karriere sind. Dem entgegen steht die Zufriedenheit mit einem unangenehmen, belastenden und schlecht bezahlten Job. Dazu kommt der Umstand, dass Karrieren von Außen, also von der Familie, den Nachbarn, den Kollegen bewertet werden. Diese Bewertung muss mit dem objektiven Karriereerfolg, also mit der tatsächlich erreichten Position, nicht viel zu tun haben.

derStandard.at: Kann man Karriere planen?

Strunk: In "klassischen", vorgezeichneten Karrieren war klar, wie man etwas wird. Neue Karrieren in Unternehmen, die keine dauerhaften Arbeitsverhältnisse mehr bieten, verfügen über wenige Planungsmöglichkeiten. Selbst bizarre Berufswechsel, z. B. vom Tankwart zum IT-Unternehmer, sind heute keine Seltenheit. Ein konkreter Weg durch das Berufsleben ist nicht im Detail planbar. Für wichtiger als Detailwissen und konkrete Fachkenntnisse erachte ich heute eine umfassende und flexibel nutzbare Bildung. Letztlich muss jeder selber wissen, was er will. Man muss sich den Trampelpfad durch das unwegsame Gelände selber bahnen.

derStandard.at: Gibt es eine Begrifflichkeit für diese "neuen" Karrieren?

Strunk: In der Karriereforschung werden die neuen Karrieren mit zum Teil recht schillernden Namen versehen. Amerikanische Kollegen sprechen z. B. von der boundaryless - grenzenlosen - Karriere, weil alle Grenzen zwischen Professionen, Funktionen, Positionen etc. fallen können. Im Vienna Career Panel Projekt - einem Forschungsprojekt der Wirtschaftsuniversität Wien -, werden die neuen, wenig planbaren theoretisch als "chronisch flexible Karrieren" beschrieben.

derStandard.at: Welche Faktoren machen überhaupt erfolgreich?

Strunk: Was erwartet man von einem Arzt, einer Ärztin, was von einer Uhrmacherin, was von einem Künstler, einer Künstlerin? In den klassischen Karrieren war das relativ klar. Wenn man nicht einmal mehr weiß, welchen Beruf man in ein Formular schreiben soll, weil man eigentlich schon so vieles in seinem beruflichen Leben gemacht hat, dann hat man eine chronisch flexible Karriere und dann ist nicht mehr wirklich klar, welche Faktoren erfolgreich machen.

derStandard.at: Kann ein Mensch, der auf "Understatement" setzt, überhaupt Karriere machen?

Strunk: Understatement ist auch als eine Form der Selbstdarstellung zu verstehen. Es gibt Forscher, die behaupten, dass man gar nicht anders kann, als sich selbst darzustellen. Das funktioniert in der Regel unbewusst. Man kann aber auch versuchen, auf längere Sicht sein Bild nach Außen "aufzupolieren". Darüber, ob das zu mehr objektivem Karriereerfolg führt, existieren unterschiedliche Befunde. Umgekehrt dürfte aber klar sein: Je mehr man mit seiner Position sichtbar wird, umso mehr wird man an seiner Selbstdarstellung arbeiten.

derStandard.at: Sind chronisch flexible Karrieren die Zukunft?

Strunk: Es ist nicht leicht zu überprüfen, ob Karrieren heute wirklich weniger planbar sind als früher. Die jüngere Karriereforschung geht seit den 1990er Jahren von einer Zunahme neuer, weniger planbarer Karrieren aus. Abweichungen von vorgegebenen Karrierepfaden hat es immer schon gegeben. Nun stellt sich die Frage, wie man Planbarkeit messen kann.

Für die Untersuchung von Karrieren bietet die Chaosforschung statistische Methoden an. Sie zeigt, dass Unplanbarkeit auch in Systemen auftreten kann, von denen man alles zu wissen glaubt. Die Grundlage für die begrenzte Vorhersagbarkeit solcher Systeme bildet der so genannte "Schmetterlingseffekt". Die untersuchten Karrieren werden als Wege durch das Berufsleben auf einer Art Schachbrett abgebildet, das an seinen Seiten keine Buchstaben und Zahlen, sondern z.B. Gehälter auf der einen und Zufriedenheiten auf der anderen Seite aufweist.

Im Karriereverlauf steigt und fällt das Gehalt und steigt und fällt die Zufriedenheit. So ergibt sich ein individueller Weg über das Schachbrett. Mit den Methoden der Chaosforschung werden diese Wege gezählt und miteinander verglichen. Man kann dann feststellen, ob bestimmte Bewegungsmuster vorherrschen, oder ob die Wege nicht mehr von einer Zufallsbewegung unterschieden werden können. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 27. 10. 2009)