Frauen leben länger. Die Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung wird aber seit 20 Jahren kontinuierlich geringer.

Illustration: Standard/Gsöllpointner

 "Die Männer sind zu überhaupt nichts zu bewegen. Dann kommen die Gattinnen mit herein, und das sind so unangenehme Szenen, (...) wie wenn ein störrisches Kleinkind von der Mama zur Doktorin geschleppt wird. Das ist fast der Standard."

Diese Beobachtung einer praktischen Ärztin bringt auf den Punkt, was in zahlreichen Studien unter "geschlechtsspezifische Unterschiede im Gesundheitsverhalten" nachzulesen ist: dass nämlich Frauen im Durchschnitt gewissenhafter mit ihrer Gesundheit umgehen, eine geringere Hemmschwelle für den Arztbesuch besitzen und auch Vorsorgeuntersuchungen häufiger nutzen als Männer - eine von mehreren wahrscheinlichen Ursachen, warum Frauen in Österreich und Deutschland heute um rund fünfeinhalb Jahre länger leben als Männer.

Dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben, weiß man, seit es entsprechende statistische Aufzeichnungen gibt: So wurden sie im 17. und 18. Jahrhundert durchschnittlich etwa eineinhalb Jahre älter, Anfang der 1980er-Jahre sogar um sieben Jahre. "Ab diesem Zeitpunkt jedoch schließt sich die Schere, da die Lebenserwartung der Männer etwas stärker ansteigt als jene der Frauen", erklärt Isabella Buber-Ennser vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt will die Forscherin mit ihrem Team nun klären, warum sich die Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung seit 20 Jahren kontinuierlich verringert. Neue Erkenntnisse erwartet man sich vor allem durch die methodische Triangulation, also den Einsatz sowohl quantitativer als auch qualitativer Methoden. "Die Idee dahinter ist, aus qualitativen Interviews mit praktischen Ärzten, Gender-Medizinern und Altenpflegern neue Hypothesen und Erklärungsansätze abzuleiten, die dann mittels quantitativer Methoden in umfangreichen Datensätzen untersucht werden", schildert die Projektmitarbeiterin Priska Flandorfer.

Erste Ergebnisse liegen bereits vor: So weiß man mittlerweile, dass für das Öffnen ebenso wie für das Schließen der "Geschlechterschere" vor allem die Altersgruppe der 55- bis 80-Jährigen verantwortlich ist. Wesentlich daran beteiligt ist aber auch der sogenannte "Unfallbuckel", der insbesondere von Männern um die 20 verursacht wird. Zwar geht die Zahl der Verkehrstoten auch in dieser Altersgruppe seit den 80er-Jahren zurück, dennoch tragen sie nach wie vor spürbar zur Geschlechterdifferenz in der durchschnittlichen Lebenserwartung bei", erklärt Projektmitarbeiter Christian Wegner.

Trotz eines generellen Rückgangs der männlichen "Übersterblichkeit" lässt sich innerhalb der Todesursachen seit 1970 ein Anstieg der Geschlechterdifferenz vor allem bei den Krebserkrankungen beobachten. "Hier stagniert der Wert allerdings seit rund zwei Jahrzehnten bei 1,3 Jahren", berichtet Wegner.

West-Ost-Gefälle

Auffällig ist auch ein deutliches West-Ost-Gefälle bei der Lebenserwartung der Männer. So starben Wiener, Niederösterreicher und Burgenländer 2007 deutlich früher als Männer aus anderen Bundesländern. Verschlechtert hat sich die Situation vor allem für die Wiener: Sie sackten im Bundesländervergleich vom vierten auf den vorletzten Platz ab. Am kürzesten leben seit mindestens 40 Jahren die Burgenländer. Unter den Frauen haben übrigens die Wienerinnen mit 81,9 Jahren die niedrigste Lebenserwartung, 1970 waren es mit 72,9 Jahren noch die Kärtnerinnen.

Wie erklärt sich die Forschung die längere Lebenserwartung der Frauen? "Hier spielen viele Faktoren zusammen", weiß Projektmitarbeiter Marc Luy. "Außer Frage steht, dass biologische Ursachen - etwa das doppelte X-Chromosom, das Frauen vor bestimmten Krankheiten besser schützt - eine wesentliche Rolle spielen." Auch ungesunde Verhaltensweisen wie Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum sowie die überhöhte Unfallsterblichkeit von Männern tragen zur Geschlechterschere bei.

"In jüngster Zeit verringern sich diese Verhaltensunterschiede allerdings, was sehr wahrscheinlich für die kleiner werdende Geschlechterdifferenz mitverantwortlich ist", meint Wegner. Insbesondere das Rauchen habe einen deutlichen Einfluss: So gehe der Anstieg der Lebenserwartung bei den Männern mit einem Rückgang der Rauchersterblichkeit einher, bei den Frauen hängt der verlangsamte Anstieg der Lebenserwartung mit der wachsenden Zahl der Raucherinnen zusammen.

Aus den Interviews geht dennoch hervor, dass ein gesunder Lebensstil eher den Frauen zugeschrieben wird. "Auch wenn vor allem bei jüngeren Männern ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein zu beobachten ist, lässt sich das Schließen der Geschlechterschere allein damit noch nicht erklären", stellt Isabella Buber-Ennser fest. Der Endbericht des auf zwei Jahre anberaumten Projekts darf also mit Spannung erwartet werden. (Doris Griesser/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.10. 2009)