Der Mensch, gesehen und behandelt als Individuum, nicht als Teil eines Kollektivs - irgendwann.

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Zlatko Trajanoski: "Bisher können wir die Daten archivieren. Das wird bald nicht mehr möglich sein, die Datenfülle ist zu groß."

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STANDARD: Was darf man sich denn unter Bioinformatik vorstellen?

Trajanoski: Wir versuchen Daten zu managen und analysieren, die aus der modernen Genomforschung kommen. Im Gegensatz zu traditionellen molekularbiologischen Methoden fallen bei der Genomforschung sehr große Datenmengen an. Diese müssen wir verwalten, integrieren und analysieren. Mithilfe dieser Analysen wollen Biologen und Biotechnologen Hinweise bekommen, um einerseits molekulare Mechanismem zu entschlüsseln und andererseits Herstellungsprozesse und vorhandene biotechnologische Produkte zu optimieren. Dazu entwickeln Bioinformatiker mit den Instrumenten der modernen Computerwissenschaft Software, Datenbanken und Analysetools.

STANDARD: Analysiert man den gegenwärtigen Trend in den Life-Sciences, dann sieht man, dass der Zug in Richtung personalisierte Medizin fährt. Wird es tatsächlich möglich sein, vor einer Therapie das jeweilige Patientengenom zu sequenzieren und anhand dieser Analyse dann die Behandlung individuell anzupassen, oder ist das eine Utopie?

Trajanoski: Nein, das ist keine Utopie, das ist durchaus realistisch in absehbarer Zukunft. Was derzeit stattfindet und wohin der Zug heute bereits fährt, ist aber noch keine personalisierte Medizin, sondern eine stratifizierte Medizin. Man versucht jetzt, Patienten aufgrund ihres genetischen Profils, das mithilfe neuer Technologien sequenziert und bioinformatisch analysiert werden kann, in kleine Gruppen einzuteilen, für die bestimmte Medikamente infrage kommen oder nicht. Bis wir zur individualisierten beziehungsweise personalisierten Medizin kommen, wird es noch ein bisschen dauern.

Bei der Stratifizierung gibt es aber jetzt schon bestimmte Medikamentengruppen, besonders für Brust- und Darmkrebs, die anhand genetischer Marker angewandt werden. Die Patienten werden untersucht auf bestimmte Mutationen in ihrem Erbgut. Bei Brustkrebs ist das beispielsweise eine Überexpression des spezifischen Brustkrebsgens namens HER2. Hat eine Patientin dort eine erhöhte Expression von HER2, dann kann bei ihr das Medikamente Herceptin angewandt werden. Bei Darmkrebs ist es ähnlich.

STANDARD: Das scheint enorm kostenintensiv zu sein. Ein Problem?

Trajanoski: Ja, die eigentliche individualisierte Medizin scheitert noch weitgehend an den Kosten. Hier findet im Moment aber eine rasante Entwicklung statt. Man kann heute schon sein Genom von kommerziellen Anbietern sequenzieren lassen. Das kostet rund 48.000 US-Dollar. Nächstes Jahr soll eine neue Technologie eine solche Sequenzierung bereits um 5000 US-Dollar möglich machen. Wir kommen also langsam in den Bereich, in dem nicht nur Multimillionäre sich das leisten können. Das birgt aber andere Probleme.

STANDARD: Und welche sind das?

Trajanoski: Nun, dabei werden wir Bioinformatiker gefordert sein, weil dann auch riesige Datenmengen anfallen, noch größere als bisher. Bis heute sind wir in der Lage, die Daten zu archivieren, zu managen und zu analysieren. Bei dieser neuen Technologie ist es aber nicht mehr möglich, die Rohdaten zu archivieren. Pro Patient haben wir bis zu zehn Terabyte an Datenvolumen. Die Wissenschafter versuchen, einen Weg zu finden, aber es gibt noch keine Möglichkeit zur Speicherung dieser Datenfülle.

Man versucht, die Rohdaten irgendwo endzulagern, aber das ist meiner Meinung nach aussichtslos. Dadurch, dass die Preise nun im Sinkflug sind, wird es jedoch bald möglich sein, jedes Mal eine neue Genanalyse durchzuführen. Man wird die Rohdaten also nicht mehr zwangsläufig speichern müssen - zumindest nicht für die klinische Medizin, die braucht nur die Analyse.

STANDARD: Schon, um aber neue Medikamente zulassen zu können, bedarf es nach den derzeitigen Gepflogenheiten und Richtlinien auch der Rohdaten aus allen Studienphasen - gespeichert und zugänglich, in Fachmagazinen publiziert. Wie sollen individuelle Therapien zugelassen werden, wenn entsprechende Daten nicht gespeichert werden können?

Trajanoski: Daran wird gearbeitet. Zulassungsbehörden wie die FDA in den USA und die EMEA für die EU prüfen bereits heute entsprechende Modalitäten für die stratifizierte und später auch personalisierte Medizin. Man wird nicht mehr alle Patienten in einer Studie über einen Kamm scheren können. Dabei gibt es eine weitere Entwicklung: Medikamente, die nicht zugelassen sind, weil sie in Studien bei der riesigen Patientenzahl im statistischen Durchschnitt zu wenig gewirkt haben, könnten jetzt eine Zulassung erhalten - weil sie nämlich für eine kleine, genetisch bestimmte Gruppe doch wirken.

STANDARD: Das heißt, die Pharmaindustrie kann bald ihren bisherigen Abfall verwerten. Allein, die Zielgruppe ist dann eine viel kleinere. Werden die Preise steigen?

Trajanoski: Das muss man sicher annehmen, ja. Das ist aber nichts Neues. Es gibt heute schon Medikamente, die bis zu 70.000 Euro pro Behandlungsjahr kosten. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2009)