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Nikolaus Gansterer in seinem Wohnatelier: roter Samt und ein Baum des Wissens statten seinen Denkraum aus.

 

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Memoseum: Das Technische Museum Wien, neugeordnet nach Denkfiguren im Prozess ihrer Aushärtung.

 

Bilder: Nikolaus Gansterer
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The Urban Alphabet ist gleichzeitig Kartografie des Urbanen wie ironischer Kommentar auf den Praterstern.

 

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Auszug aus dem Künstlerbuch Drawing a Hypothesis, das im kommenden Frühjahr erscheinen wird.

 

Links:
www.gansterer.org
www.memoseum.net
www.gemueseorchester.org
www.iftaf.org

 

Foto: Nikolaus Gansterer

Ein Sofa mit dunkelrotem Samtüberwurf und eine Lehrtafel zur Vermittlung von Basiswissen mit dem Titel Tree of Knowledge (Metal): Sehr viel mehr befindet sich nicht in einem der beiden Arbeitsräume von Nikolaus Gansterers Wohnatelier. Es scheint sein Denkraum zu sein. Trotz großzügiger Räumlichkeiten sagt das Mitglied des Wiener Gemüseorchesters und des Instituts für transakustische Forschung: "Ich bräuchte einen zusätzlichen Raum, in dem ich meine Installationen aufbauen und auch stehen lassen kann." Im Proberaum des Instituts für transakustische Forschung geht das zwar, aber nach spätestens einer Woche muss alles wieder abgebaut werden.

Seinen Arbeitsprozess versteht der Absolvent der Klasse für Transmediale Kunst an der Angewandten als eine Art Gärungsprozess: "Ich bin ein Viel- und Parallelarbeiter", sagt er: "Dadurch befinde ich mich in einem permanenten Spannungszustand. Wenn ich es aber schaffe, diesen Druck zu katalysieren, kann ich ihn produktiv umwandeln. Mittlerweile habe ich zwar eine eigene Formensprache entwickelt, eigentlich bin ich aber mehr am Prozess interessiert, der zu dieser Formwerdung führt." Die von Gansterer verwendeten Formen, Medien und Materialien meandern zwischen Peformance, installativen Anordnungen und auch Künstlerbüchern, in oft längeren Experimenten arbeitet er auch mit Lebendorganismen und Pflanzen. "Es geht immer um Myzele - um Netzwerke", sagt er. Zahlreiche Referenzen auf bereits realisierte Kunstwerke kennzeichnen seinen Stil, eine Darstellungsform zieht sich wie ein roter Faden durch: die Zeichnung.

Manifeste Idee

Im Moment ist eine seiner grafischen Arbeiten im Technischen Museum Wien zu sehen. Für Memoseum (2009) hat er einige Nächte dort verbracht, um sich mit der Museumssammlung auseinanderzusetzen und sich mit ihrer Organisationsstruktur vertraut zu machen. "Ich habe mir die Frage gestellt, wie ich all die zahlreichen Inhalte und Objekte neu ordnen und dabei eigene Taxonomien entwerfen kann", sagt der Künstler. Mit Memoseum ist eine temporäre Neufassung dieses Orts der Erinnerung und des Vergessens entstanden: nach Farben, nach den Umraumungen der dort gezeigten Objekte, nach Denkfiguren, nach vergessenen Erfindungen, Kernthesen oder Gedankenstützen. Gansterer präsentiert seine Ergebnisse in Form hauchdünner Arbeitsblätter, die von den Besuchern in eigens dafür angefertigten Tragetasche mitgenommen - sozusagen gesammelt - werden können.

"In Memoseum versuche ich Ideen im Zustand ihrer Aushärtung zu zeigen", sagt der Künstler und erklärt so die einmal historische, dann wieder ideengeschichtliche, formale oder funktionelle, assoziative oder auch institutionsgeschichtliche Vorgehensweise bei der Umordnung der Sammlung. Sei es wie im Fall von Memoseum als einsame nächtliche Recherche, sei es in einem öffentlich zugänglichen Setting, Gansterer verbindet das Zeichnen und die Performance leichtfüßig miteinander: "Jede Zeichnung ist eine Form von Performance für mich, weil der Prozess des Erkennens, Denkens und Benennens hier in extrem verdichteter Form zum Vorschein kommt. Deshalb bin ich auch dazu übergegangen, live zu Zeichnen. Zeichen ist für mich Forschung im klassischen Sinn: man tastet sich langsam vor, experimentell, immer wieder von Neuem, schrittweise."

Universelle Matrix

Bis Ende November zeigt Nikolaus Gansterer bei der Ausstellung Urban Signs - Local Strategies eine Intervention im öffentlichen Raum des Wiener Pratersterns. Direkt auf den neuen schwarzen Verschalungen des Gleiskörpers am hinteren Bahnhofsausgang hat der Künstler The Urban Alphabet (2009) angebracht. Aus den städtebaulichen Grundformen internationaler Metropolen von A wie Amsterdam bis Z wie Ziguinchor im Senegal hat er durch Abstraktion von Stadtplänen Piktogramme entwickelt und in alphabetischer Reihenfolge angeordnet. Mit 26 dieser so genannten Urban Characters konstruiert er die Grundlage für eine globale Universalsprache, deren Morphologie sich aus urbanen Strukturen generiert.

"Im öffentlichen Raum muss man anders arbeiten als im Ausstellungsraum. The Urban Alphabet spricht in erster Linie Passanten im Vorbeigehen an. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, eine sehr kleine und schnelle Geste, sehr groß, ja fast überdimensional darzustellen." Die einzelnen Zeichen seines Alphabets präsentieren sich auf dem schwarzen Hintergrund, als hätte jemand mit Kreide seine Ideen auf einer Schultafel skizziert. The Urban Alphabet ist dabei aber nicht nur als Reflexion auf die Globalisierung zu verstehen, sondern kann ebenso als ironischer Kommentar auf den Ort der Präsentation, also den Praterstern und den teils übertrieben großen Nordbahnhof, gelesen werden.

Hypothetische Schablone

Gansterers Interesse an natur- und sozialwissenschaftlichen Fragen sowie ihre Verschränkung mit künstlerischer Formfindung manifestiert sich im Moment in der Arbeit an einem aufwendigen Künstlerbuch. Drawing a Hypothesis heißt das Werk, das im kommenden Frühjahr erscheinen wird und aus seiner Forschungsarbeit über die Diagrammatik der Zeichnung als Stipendiat an der Jan van Eyck Academie in Maastricht resultiert. "Für das Buch habe ich mir Diagramme angeeignet, sie gesammelt und archiviert - thematische Einschränkungen gab es dabei nicht", sagt Gansterer. Einzelne grafische Formen hat er aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und Wissenschaftern, Künstlern und Theoretikern aus unterschiedlichen Fachbereichen mit der Bitte vorgelegt, anhand der jeweiligen Form eine Hypothese zu entwickeln. Gansterer geht damit den umgekehrten Weg, nicht von der komplexen Sprache der Theorie zum Diagramm, sondern von der Abstraktion wieder zurück zur Sprache.

Das Layout des Buchs imitiert gängige Wissenschaftbücher. Ziel dieser Mimikry ist, dass Leser die im Buch formulierten Hypothesen auf den ersten Blick für bare Münze nehmen. "Die Hypothese ist eine Idee, die sich ja noch in einem flüssigen Zustand befindet bevor sie zu einer endgültigen These wird", behauptet der Künstler und zeigt sich fasziniert von der Frage, "wann genau die Idee eine Form annimmt, und wann diese Form schließlich zu Material wird. Mit dem Buch bewege ich mich in einem sehr frühen Stadium der Genese von Informationswerdung."

Nikolaus Gansterer begegnet in seiner Arbeit der Komplexität wissenschaftlicher und lebensweltlicher Systeme mit ebenso komplexen künstlerischen Anordnungen. Animiert von den sich netzwerkartig in unterschiedlichen Darstellungsformen visualisierten und wörtlich nach-gezeichneten Denkvorgängen des Künstlers, wird der Betrachter in die semantischen Zwischenräume einer modellhaft zu verstehenden Ideenwelt gesogen. "Hypothesen", so der Künstler abschließend, "machen spekulative und luftige Gedankenräume auf. Aus der Ideengeschichte kann man Schlüsse ziehen oder wie es auf Englisch so schön heißt: drawing conclusions." Seine Schlussfolgerungen stellt er zur allgemeinen Diskussion und die dazugehörigen Theorien gleichermaßen in den Raum. Forschungsarbeit an der Forschungsarbeit, oder Kunst als Grundlagenforschung. (fair)