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Erinnerung an den Einparteienstaat, dem sich Russland wieder annähert: In Moskau zeigt derzeit eine Ausstellung sowjetische Propagandaarchitektur.

Foto: AP/Metzel

Aus Protest gegen mutmaßliche Wahlfälschungen haben die drei im russischen Parlament vertretenen Oppositionsparteien vorübergehend die Staatsduma verlassen. Die Liberaldemokraten, die Kommunisten und die Partei Gerechtes Russland forderten die Überprüfung der Wahl sowie ein Treffen mit Präsident Dmitri Medwedew.

Nachdem den Parteien versprochen wurde, dass ein Treffen mit dem Präsidenten organisiert werde und jede Partei in den Dumasitzungen je fünf Minuten für ihre politischen Statements erhalten solle, kehrten die Liberaldemokraten und Gerechtes Russland ins Parlament zurück. Am Freitag zogen einige Abgeordnete aber erneut aus dem Plenum aus. Die Kommunisten denken über eine Rückkehr noch nach.

Bemerkenswert ist der Protest der Oppositionsparteien deswegen, weil es diesmal nicht die liberale, unabhängige und realpolitisch marginalisierte Opposition ist, die sich gegen den Kreml stellt, sondern die Parteien, die sich mit der Machtelite arrangiert haben.

Laut Nikolaj Petrow, Politologe des Moskauer Carnegie-Zentrums, haben Liberaldemokraten, Kommunisten und Gerechtes Russland so scharf reagiert, weil sie vom Kreml in die Ecke gedrängt wurden. "Der Kreml hat mit der Kommunalwahl das Signal gesendet, dass die Minderheitsparteien in der Duma nicht mehr benötigt werden" , sagt Petrow. Für die Opposition sei die einzige Möglichkeit, das politische Geschehen zu beeinflussen, der Boykott und die Involvierung des Präsidenten.

Bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag sicherte sich die Regierungspartei Einiges Russland 80 Prozent der Mandate. In Moskau waren es sogar 90 Prozent.

Der erste Boykott der Staatsduma seit 2000 bringt den Präsidenten in die Zwickmühle. Medwedew wird nicht müde, in seinen Reden die Fahnen der Demokratie hochzuhalten und mehr politischen Wettbewerb einzufordern. Seine Worte stehen jedoch in starkem Kontrast zur gängigen Praxis, die "Machtvertikale" - das unter dem jetzigen Premier Wladimir Putin kreierte System - zu stärken.

Da die Protestaktion gut koordiniert abgelaufen ist, scheint es nicht unwahrscheinlich, dass der Boykott vom Kreml orchestriert wurde und im Hintergrund ein Machtkampf zwischen Medwedews und Putins Team tobt. Im Zentrum des Konflikts soll der Architekt des Putin'schen Politsystems, Wladislaw Surkow, stehen, dessen Ablöse Medwedews Leute betreiben. Machtkämpfe zwischen den Apparaten habe es aber immer schon gegeben, betont Petrow.

Trotz der Anzeichen, dass die Risse im Führungstandem größer werden, glauben russische Beobachter nicht an eine ernsthafte Auseinandersetzung. Dafür habe Putin die Zügel zu fest in der Hand. "Putin ist das politische Schwergewicht in Russland. Alle wichtigen Entscheidungen werden von ihm getroffen. Medwedew ist nur der Chef der PR-Abteilung im Unternehmen Russland", sagt Petrow. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2009)