Seit Krise ist, werden die Leute in der Straßenbahn immer desperater. Vor ein paar Tagen sah ich auf der Heimfahrt in den Neunten einen älteren, ungepflegten Herren in der 38er sitzen: teure, aber schmuddelige Kleidung, fettiger grauer Haarschopf, unrasiert.

Der Mann gab sich einem brisanten Multitasking hin: Über das zwischen Schlüsselbein und Ohr geklemmte Handy unterhielt er sich mit seinem Installateur, zugleich verzehrte er eine sommersonnengelbe, extradick belegte Pizzaschnitte. Sprechen und Essen gehen schlecht zusammen, und die Folgen sind ungustiös: Alle paar Sekunden speichelte der Mann ein paar Analogkäsefäden auf ein Presse-Exemplar, das er wie ein Tablett vor sich auf die Knie gelegt hatte. Eine schöne Sauerei, wenn Sie mich fragen.

Der Vorfall hat mir zu denken gegeben. Die Vorstellung, dass schmutzige Leser Käsefäden auf diese Kolumne sabbern könnten, macht mich ganz krank, weil Reinlichkeit im zwischenmenschlichen Umgang unabdingbar ist. Selbstverständlich schreibe ich diese Zeilen in frisch gewaschenem Zustand, und ebenso selbstverständlich nehme ich an, dass auch Sie vor der Lektüre Ihre Morgenhygiene erledigt haben. Wenn nicht, dann gehen Sie jetzt bitte schnell ins Bad, holen das Versäumte nach, und wir reden nicht mehr drüber. Danke.

Meine Sauberkeitsansprüche an die Leser sind keineswegs übertrieben, sondern liegen im gesellschaftlichen Mainstream. Die Österreicher wollen saubere Skifahrer, saubere Kolumnisten und saubere Politiker, und das bekommen sie in aller Regel auch. Ich würde meine Hand nicht für jeden einzelnen Dorfbürgermeister ins Feuer legen, aber zumindest auf Ministerebene funktioniert die Körperpflege tadellos. Die Innenministerin ist sauber, der Bundeskanzler ist sauber, und auch der Finanzminister ist sauber, nur hat Josef Pröll den Nachteil, dass sein Vorgänger immer noch den einen Tick gepflegter war als er selbst.

Vor ein paar Tagen konnte ich mich übrigens (bei einem Interview auf Krone-TV) vergewissern, dass auch die Brust von KHG blitzsauber ist. Er hatte das Hemd so weit aufgeknöpft, dass das Gespräch zehn Minuten lang haarscharf am Rand eines neuen Nippelgate entlangschrammte, aber am Ende des Tages blieben die Warzen dann doch drin. Einer solchen Kombination von Taktgefühl und Transparenz ist eigentlich nur KHG fähig. Drum mögen ihn die Leute ja auch so gerne. (Christoph Winder, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 17./18.10.2009)