Extreme Angst kann schwer traumatisierend wirken - und wird deshalb zum Fall für die Psychoanalyse.

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Wien - In Zeiten der weltweiten Krisen und Katastrophen hat die Angst Hochkonjunktur: Terror, Amok und Apokalypse sind an der Tagesordnung, trick- und bildreich flimmert der Horror der anderen allabendlich über die Bildschirme - als Information und Unterhaltung zugleich.

Sind wir selber einer Katastrophe hilflos ausgesetzt, überwältigt uns die Angst. Ist sie in mäßiger Form ein Signal, das vor Gefahr warnt und damit schützt, wirkt extreme Angst traumatisierend.

Angst tritt nicht nur als Panik und Warnsignal auf, sondern auch als Phobie, als neurotische oder psychotische Angst, aber auch als Angstlust. Damit wird sie auch ein Fall für die Psychoanalyse, und konkret: für die Wiener Psychoanalytische Akademie, die im Rahmen der Sigmund-Freud-Vorlesungen heute und morgen zur Auseinandersetzung mit dem komplexen Phänomen einlädt.

Für Freud war Angst eine existentielle Grunderfahrung des Menschen und als ein "Ur-Affekt" Ausdruck schon frühester psychischer Aktivität. Für die Psychoanalyse gibt es damit also nicht nur Angstsituationen, die einer äußeren Realität geschuldet sind. Sie beschäftigt sich vor allem mit seelischen Ursachen der Angst, ihren unbewussten Quellen, die einer inneren Realität entspringen.

Psychoanalyse ist ein an Sprache orientiertes Verfahren: Das Unsagbare soll gesagt werden. Was aber, wenn das - auch aus Angst - nicht geht? Nicht zuletzt deshalb steht die Psychoanalyse wieder im Dialog mit den Neurowissenschaften, wovon schon Freud träumte. Mittlerweile gibt es unter den Analytikern aber auch Vorbehalte gegen rein pharmakologische Formen der Angstbewältigung.

So meint etwa Christine Diercks, Vorsitzende der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung und Organisatorin der Tagung, dass mit den beeindruckenden Ergebnissen der neurobiologisch ausgerichteten Psychiatrie eine Richtung vorgegeben werde, "die in ihrer zunehmenden Ausschließlichkeit besorgt macht".

Psychoanalyse stehe nicht im Widerspruch zur Hirnforschung, so Diercks, "sie wählt aber den Weg der seelischen Auseinandersetzung mit dem, was sich unserer bewussten Kenntnis entzogen hat, was uns ängstigt und schmerzt, von dem wir mit aller Macht nichts wissen wollen, das uns aber gerade deshalb umso mehr treibt und bestimmt."

Diercks wird bei der heute beginnenden Tagung über Freuds Angsttheorien referieren. Die Tagung geht aber weit über Freud hinaus: Da Angst ein universales Phänomen und daher auf keine Kultur beschränkt ist, wird etwa Gerhard Kubik zu einer ethnopsychoanalytischen Grenzüberschreitung aufbrechen. Marianne Scheinost-Reimann unternimmt psychoanalytische Ausflüge in Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" und thematisiert dabei die Angst vor "Aphanisis", dem Verschwinden der sexuellen Libido.

Schließlich wird im Filmclub anhand von Filmen wie "Videodrome" von David Cronenberg geklärt, wie man mit den Mitteln des Kinos so richtig Angst macht. (Katrin Mackowski, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. Oktober 2009)