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In Genf ist alles bereit für den lautlosen "Big Bang": Hundert Meter unter dem Erdboden treffen einander dort Teilchen.

Foto: APA/EPA/MARTIAL TREZZINI

Beim politischen Powerplay zog der Wissenschaftsminister den Kürzeren. Andrea Heigl aus Genf.

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Ein großer Raum, ein paar dutzend Computer, reihenweise hängen Monitore an den Wänden. Die steten Bewegungen auf den Bildschirmen könnten Börsenkurse anzeigen, dann wären die vielen jungen Menschen im Raum wohl um einiges aufgeregter. So sitzen sie entspannt herum, plaudern, trinken Kaffee und schauen ab und zu, ob sich auf den Schirmen etwas tut.

Es ist der ganz normale Tagesbetrieb im "Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire", kurz Cern, nahe Genf. Rund 100 Meter unter der Erde werden Teilchen durch kilometerlange Röhren geschickt, dabei beschleunigt und dazu gebracht, zusammenzuprallen - "um zu verstehen, warum die Welt so ist wie sie ist", wie es in einem Cern-Prospekt heißt. Besonders den Vorgängen beim Urknall, dem "Big Bang", versuchen die Forscher auf die Spur zu kommen.

Hier oben, im Kontrollraum, gibt es nur Zahlen und bunte Grafiken zu bestaunen. Der niederösterreichischen Delegation, die an diesem Tag im Cern weilt, geht beim Anblick der vielen Technik dennoch das Herz auf. "So wird's bei uns auch aussehen, nur viel kleiner", sagt Martin Schima. Er ist Geschäftsführer von MedAustron, jenem Krebsforschungs- und Therapiezentrum, das in Wiener Neustadt entstehen soll.

Auch dort werden bald Teilchen beschleunigt, um Tumore zu zerstören, die bis dato als nicht heilbar gelten. Mit 1200 Patienten pro Jahr rechnen die Betreiber, 2014 soll erstmals behandelt werden. Ein prestigeträchtiges Projekt für Niederösterreich, das dementsprechend viel Unterstützung zugesichert hat. Mit 160 Millionen Euro bezahlt das Land den Großteil der Errichtungskosten, als Aufsichtsratsvorsitzender fungiert VP-Klubobmann Klaus Schneeberger. Er hält den Bau von MedAustron für ein "epochales Ereignis, dessen Auswirkungen noch gar nicht absehbar sind".

Dabei hätte es vor wenigen Monaten nahezu einen "Austrian Bang" gegeben, wie es Schneeberger formuliert. Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) hatte den Ausstieg Österreichs aus Cern angekündigt. Das hätte, sind alle Beteiligten überzeugt, gleichzeitig das Aus für MedAustron bedeutet, denn das Know-how für die Teilchenbeschleunigung kommt aus Genf. Also sprachen Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (VP) und Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) in seltener Einigkeit ein Machtwort, Österreich blieb bei Cern, für MedAustron startet mittlerweile die Umweltverträglichkeitsprüfung.

Diplomatischer Fauxpas 

Doch der Beinahe-Abschied Österreichs, das seit 50 Jahren Cern-Mitglied ist, hallt in Genf noch nach. "Lassen Sie es mich diplomatisch formulieren: Das wurde hier nicht sehr positiv wahrgenommen", sagte Cern-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer zum Standard. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich auch von diplomatischen Wickeln. Die Cern-Leitung habe aus den Medien von Hahns geplantem Schritt erfahren - ein Fauxpas.

16,3 Millionen Euro kostet Österreichs Cern-Mitgliedschaft pro Jahr, Geld, das man anders verwenden könnte, hatte Hahn befunden. Wäre auch die grüne Wiese in Wiener Neustadt unbebaut geblieben, hätte das das Wissenschaftsbudget weiter entlastet: 40 Millionen soll Hahn für die Errichtung von MedAustron zuschießen, fünf Millionen pro Jahr für den laufenden Betrieb. Böse Zungen behaupten, der Minister habe den Umweg über Genf beschreiten wollen, um das Projekt abzudrehen und so sein Budget zu entlasten.

Offiziell will sich damit niemand mehr auseinandersetzen, schon gar nicht hundert Meter unter der Erde, im Cern-Herzstück, wo bald ein neuer Versuch unternommen werden sollen, den "Big Bang" zu verstehen. Im Vakuum prallen dort die Teilchen völlig lautlos aufeinander - mit deutlich weniger Getöse als beim "Austrian Bang". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. Oktober 2009)