Josef Pröll hat in seiner Rede am Mittwoch - durchaus bemüht - versucht, aus der Sicht eines ÖVP-Finanzministers zu beschreiben, welche Probleme und Herausforderungen für Österreich er erkennt und wie er sie zu lösen beabsichtigt. Manche Probleme erkannte er richtig, viele sprach er nicht an. Die Lösungsansätze blieben zumeist unverbindlich und wenig konkret. Es geht mir aber nicht um Beckmesserei, sondern um etwas anderes: Was sich in dieser Rede jedenfalls deutlich manifestierte ist ein Herangehen an die Wirtschaftskrise, ihre Ursachen und die daraus zu ziehenden nötigen Konsequenzen, das sich in seiner Systematik grundlegend von jenem der SPÖ unterscheidet.

Für Josef Pröll ist die (im übrigen noch immer andauernde) weltweite Wirtschaftskrise nicht viel mehr als ein bedauerlicher Betriebsunfall - vergleichbar einem unvorhersehbaren Meteoriteneinschlag in eine blühende Landschaft. "Denn mangelndes Verantwortungsbewusstsein hat uns in diese Krise geführt. Politiker, die Unhaltbares versprochen haben. Manager, die eifrig zugegriffen haben. Medien, die unreflektiert berichtet haben." Demzufolge sieht Pröll auch keine andere Notwendigkeit als die nötigen Aufräumungsarbeiten vorzunehmen und dann im Wesentlichen so weiterzumachen wie bisher (wobei er die Rechnung für diese Aufräumungsarbeiten offensichtlich an die Opfer des "Einschlages" zu adressieren gedenkt).

Pröll kann oder will nicht erkennen, dass es die Deregulierungspolitik und der Wildwuchs der Finanzmärkte waren, die zur weltweiten Krise der Realwirtschaft geführt haben. Es sind die Strukturen der Finanzmärkte, die (und zwar aufgrund der ihnen innewohnenden Logik nachgerade zwangsweise) diese Krise verursachten und nicht "verantwortungslose Politiker, Manager oder Medien" .

Krise, kein Betriebsunfall

Finanzmärkte neigen zur Destabilisierung, anders als in der Realwirtschaft funktioniert bei ihnen das Prinzip von Angebot und Nachfrage nicht. Aufgabe des Staates ist es daher nicht nur, wie Pröll meint, "sich befristet als Stabilisator einzuschalten ..., um die Auswirkungen der Krise zu mildern" . Nein, Aufgabe des Staates bzw. die Aufgabe der Politik ist eine viel weiter gehende: National und international müssen die Verursacher der gegenwärtigen Krise - also die Finanzmärkte - reguliert und stabilisiert werden.

Die Weltwirtschaftskrise brachte (und bringt) aber noch etwas mit sich: die Beschleunigung eines tiefgreifenden, irreversiblen Strukturwandels in der Wirtschaft. Diesen zu gestalten und darauf zu reagieren ist die zweite mindestens ebenso wichtige Aufgabe, bei der die Politik, der Staat gefordert sind und tätig werden müssen. Viele Arbeitsplätze in der traditionellen Industrie (Stichwort Automobilhersteller und -zulieferer) und Niedriglohnjobs scheinen gerade auf Nimmerwiedersehen verloren zu gehen (oder ins Ausland verlagert zu werden). Arbeitsverhältnisse, die vom Berufseinstieg bis zur Pension in der selben Firma dauern, werden von der Regel zur Rarität. Dafür entstehen neue Arbeitsplätze in innovativen Bereichen - der Informationstechnologie, der Energieeffizienz etc. - es steigt die Nachfrage bei sozialen Diensten, es nehmen sogenannte "atypische" Beschäftigungsverhältnisse (die längst keine Ausnahmefälle mehr darstellen) zu. Immer mehr Arbeitnehmer müssen damit rechnen mehrmals in ihrem Erwerbsleben den Arbeitgeber, ja vielleicht sogar ihren Beruf wechseln zu müssen.

Sich diesem Strukturwandel entgegenstellen zu wollen ist ein ebenso wenig erfolgversprechendes Unterfangen wie der Kampf der Maschinenstürmer gegen den Einsatz von Dampfmaschinen in Industrie und Landwirtschaft. Ihm tatenlos zuzusehen und auf die "Kräfte des Marktes" zu vertrauen, ist auch keine Option. Der Schlüssel dafür diesen Strukturwandel als Chance zu nützen und nicht als Schicksal zu erleiden lautet bestmögliche Ausbildung, Qualifikation und Weiterbildung für alle Österreicherinnen und Österreicher - und zwar ein Leben lang.

Dafür wird der Markt aber von sich heraus ebenso wenig sorgen, wie für die dafür notwendige Infrastruktur - denn der "Gewinn" , der dabei erzielt wird, ist nicht unmittelbar und kurzfristig von einem Investor lukrierbar, dafür aber - und zwar sowohl für das einzelne Individuum, als auch gesamtgesellschaftlich gesehen - umso größer. Diesen Strukturwandel zu einer Chance für die Menschen zu machen, indem man sie darauf vorbereitet, sie unterstützt und dafür rüstet, darin sehe ich die zweite große Aufgabe der öffentlichen Hand, der Politik in den nächsten Jahren. Wenn uns das gelingt, wenn wir ein Land mit bestens ausgebildeten, hochqualifizierten und flexiblen - und somit auch gutbezahlten - Arbeitnehmern und natürlich auch Unternehmern werden, schlagen wir im übrigen auch finanziell mehrere Fliegen mit einer Klappe: Das Steueraufkommen steigt, weil die Einkommen steigen, die Sozialausgaben sinken, weil weniger Haushalte darauf angewiesen sind und die Ausgaben für die Arbeitslosigkeit gehen zurück, weil hochqualifizierte Arbeitsplätze weniger gefährdet sind. Zumindest dieser Zugang könnte auch für den Finanzminister interessant sein. (Josef Cap/DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2009)