"Naja, wir sind ja eine pluralistische Partei. Da wird es möglich sein, dass es unterschiedliche Positionen gibt", so der ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon zu den unterschiedlichen Meinung zu Bildungsfragen innerhalb seiner Partei. 

Foto: STANDARD/Corn

Der Bildungssprecher der ÖVP, Werner Amon, sieht in dem Eintreten seiner Partei für einen Ausbau der Ganztagsschule keine "dramatische" Veränderung, sondern eine Verschiebung in der Begrifflichkeit. Eltern sollen vor allem die Wahlmöglichkeit haben, ob ihre Kinder den halben oder den ganzen Tag in der Schule gehen. So "pluralistisch" er seine Partei sieht, so nah ist seine Position an den Lehrervertretern bei der Finanzierung: "Wenn man die Betreuung weiter ausbaut, wird das nicht ohne Kostenbeteiligung gehen", so Amon im Gespräch mit derStandard.at. Die Fragen stellte Sebastian Pumberger

*****

derStandard.at: In den letzten Tagen gab es immer mehr Stimmen aus der Volkspartei, die forderten, den Ganztagsschulbetrieb auszubauen. Eine Parole der ÖVP war einst „Ganztagsschule = Zwangstagsschule". Wie beurteilen sie diesen Wandel?

Amon: Ich sehe das nicht dramatisch. Abgesehen davon, dass sich in der Begrifflichkeit etwas geändert hat, ist das nicht die große Überraschung. Wir waren immer sehr massiv für einen Ausbau der Nachmittagsbetreuung überall dort, wo eine solche Betreuung auch notwendig erscheint. Was unser Problem war und nach wie vor ist, ist dass man ohne Wahlmöglichkeit Eltern wie Kinder dazu verpflichtet auch am Nachmittag in die Schule gehen zu müssen.

derStandard.at: Die SPÖ und Grüne verstehen darunter auch, den Unterricht auf den ganzen Tag zu verteilen und dazwischen Kreativ- und Ruhe-Phasen einzuführen. Findet nach ihrem Modell am Vormittag der Unterricht und am Nachmittag die Betreuung statt?

Amon: Es kann das andere auch geben. Uns ist nur wichtig, dass die Wahlmöglichkeit bei den Eltern bleibt. Wenn ich an einem Standort verschränkten Unterricht in den Nachmittag hinein anbiete, dann soll es gleichzeitig eine Variante geben, bei der die Kinder am Nachmittag zuhause sein können. Wir wollen die freie Wahl ins Zentrum rücken, gleichzeitig aber alle Formen zulassen.

derStandard.at: Von Seiten der Lehrervertreter geht ein Ganztagsschulbetrieb einher mit der Forderung nach mehr Personal und der Angst nach Mehrarbeit. Sind diese Forderungen realistisch?

Amon: Von Seiten der Lehrervertretung ist das absolut legitim, das ist auch die Aufgabe der Lehrervertretung. Ich bleibe dabei: Alle dienstrechtlichen Fragen müssen auch sozialpartnerschaftlich geregelt werden.

derStandard.at: ÖVP-Generalsekretär Kaltenegger stellte klar, das ein Ausbau der Betreuungszeit auch einher gehen muss mit einer veränderten Lehrer-Anwesenheitszeit in der Schule.

Amon: Das ist eine dienstrechtliche Frage, wer die Betreuung übernimmt. Bei jenen Schulformen, in denen ich bis in den Nachmittag hinein Unterricht habe, sind es ohnehin jetzt schon die Lehrer. Wenn man die Betreuung weiter ausbaut, wird das nicht ohne Kostenbeteiligung gehen. Wer die Betreuung übernimmt - ob das Lehrerinnen und Lehrer sind oder ob das Junglehrer sind, die sagen ich gehe nach der Uni in die Nachmittagsbetreuung - das kann man offen gestalten.

derStandard.at: Eine Möglichkeit, die diskutiert wird, ist die bezahlte Nachmittagsbetreuung. Wie sehen sie so ein Beteiligungskonzept der Eltern?

Amon: Ich glaube, das ist sinnvoll und legitim. Wenn die Eltern eine Nachmittagsbetreuung in Anspruch nehmen, dann sollen sie dafür - wie auch in Finnland, das ja immer wieder als Musterbeispiel in der Bildungspolitik genannt wird - einen Beitrag leisten. Man kann sich da alles überlegen: Soziale Staffelung bis hin zur Befreiung wenn soziale Gründe dafürsprechen. Vom Grundprinzip her sollte man das nicht gratis anbieten.

derStandard.at: Aber es gibt auch Stimmen innerhalb der ÖVP, die sagen: "Ja eine Mehrarbeit ist möglich" und Gewerkschaftsvertreter innerhalb der ÖVP, die das ablehnen.

Amon: Naja, wir sind ja eine pluralistische Partei. Da wird es möglich sein, dass es unterschiedliche Positionen gibt. Es kann nicht so sein, dass wir in allen Fragen die Sozialpartnerschaft hochhalten, nur im öffentlichen Bereich gilt sie nicht. Das ist auch aus einem weiteren Grund wichtig: Würden wir bei Privatangestellten das Arbeitszeitgesetz ändern, dann hätte das zunächst überhaupt keine Auswirkung. Es müsste alles erst in den Kollektivverträgen nachvollzogen werden, andernfalls gilt es nicht. Im öffentlichen Dienst gibt es aber keinen Kollektivvertrag, da gibt es nur ein Gesetz, das Dienstrecht. Daher ist es notwendig, dass die Sozialpartner eine Einigung herstellen, die wir dann als Parlament in guter sozialpartnerschaftlicher Tradition nachvollziehen. Ich bin optimistisch, dass es auf beiden Seiten den Willen gibt etwas zu verändern.

derStandard.at: Der ÖVP wird in der Bildungspolitik ein Blockierer-Image nachgesagt. Woher kommt der scheinbare neue Schwung?

Amon: Das Blockierer-Image ist eine Kampagnisierung. Ich kann das nicht nachvollziehen. Weil genauso, wie unsere Position eines differenzierten Bildungswesens mit vielen Wahlfreiheiten eine ist, die uns wichtig ist, so ist die Position der SPÖ, für eine Gesamtschule einzutreten, eine andere. In dieser Frage zu sagen, dass der eine ein Blockierer sei und der andere nicht, ist etwas zu einfach und billig. Ich bin in dieser Frage kein Ideologe, weil ich der Überzeugung bin, dass man in beiden Varianten ein exzellentes Bildungssystem entwickeln kann, man kann aber in beiden Varianten durchaus einen Crash erleiden. So ist etwa das Hamburger-Modell der Gesamtschule gescheitert.

Wir haben im Ballungsraum Probleme mit dem differenzierten Bildungsmodell. Wir haben in gewissen Bereichen die Probleme deshalb, weil wir nicht nach Leistung, Interesse oder Begabung differenzieren, sondern nach sozialem Hintergrund, nach der Frage, wohne ich am Land oder in der Stadt. Ich glaube, man sollte versuchen ohne diese ideologischen Scheuklappen das Problem anzugehen und durchaus in einer parteienübergreifenden Arbeitsgruppe überlegen, wie wir die Ziele, die uns nicht trennen, möglichst gut erreichen können.

derStandard.at: Es wird von ÖVP-Seite immer wieder beklagt, Bildungsministerin Schmied mache eine Fülle von Einzelmaßnahmen und nicht den einen großen bildungspolitischen Wurf. Im Parlament werden aber Schritt für Schritt die Maßnahmen verhandelt. Steht das nicht in einem Widerspruch.

Amon: Ich glaube, dass man im Regierungsprogramm sehr schön sieht, was der Konsens ist und wohin wir in dieser Regierungsperiode wollen. Das soll man Punkt für Punkt abarbeiten. Entscheidend dabei ist, und dann gibt es auch keine Kritik, dass man das Regierungsprogramm abarbeitet und sich nicht außerhalb des Regierungsprogramms bewegt. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 16.10.2009)