Die Default-Ansicht von Google Wave ähnelt einem Mail-Client: Navigation und Kontakte auf der linken Seite, die Auflistung aktuelle Waves in der Mitte und rechts dann die gerade ausgewählte Wave.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Sehr nützlich für das Arbeiten an einzelnen Waves: Mit einem Klick lassen sich alle anderen Interface-Elemente ausblenden, sind aber noch über eine Drop-Down-Menü verfügbar.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Alle in einer Wave vorhandenen Bilder lassen sich in einer Diashow anzeigen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Timeline-Funktion ermöglicht es Änderungen an einer Wave Schritt für Schritt nach zu vollziehen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Mit Gadgets lässt sich der Inhalt einer Wave erheblich erweitern.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Im Rahmen der Google I/O-Konferenz hat der Softwarehersteller vor einigen Monaten ein neues Projekt vorgestellt, das sich wahrlich nicht über einen zu klein geratenen Anspruch zu beklagen braucht: Denn Google Wave soll nichts weniger als die Online-Kommunikation revolutionieren.

Mail-Probleme

Die Grundannahme: E-Mail ist ein mittlerweile mehrere Jahrzehnte altes System, das zentrale konzeptionelle Probleme besitzt, die sich über die Jahre immer stärker zeigen. Sei es in Form der Spam-Problematik, die sich zu einem guten Teil daraus speist, dass sich eigentlich jeder und jede als eine andere Person ausgeben kann (und sich alle Vorschläge zu einem universellen Autorisierungssystem bislang nicht wirklich durchsetzen konnten), sei es die schlechte Eignung von Mail für Gruppenkonversationen oder zur Echtzeitdiskussion. Kein Wunder also, dass alternative Kommunikationsformen wie Instant Messaging oder auch Twitter über die Jahre einen immer größeren Stellenwert erlangt haben.

Grundannahme

Ein Zustand, der einige Google-EntwicklerInnen dazu gebracht hat, sich zusammenzusetzen und zu überlegen: "Wie würde Mail aussehen, wenn es heute erfunden würde?" Herausgekommen ist mit Wave ein Service, der versucht die Vorteile von Mail, Instant Messaging und Co. zusammenzuführen und all dies noch mit einer gehörigen Prise an Erweiterbarkeit und neuen Web-Technologien zu würzen.

Beta

Seit kurzem gibt Google über ein erweitertes Beta-Programm interessierten Personen eine erste Vorschau auf den aktuellen Entwicklungsstand von Wave. Dabei sei gleich anfänglich darauf verwiesen, dass man das Service derzeit bewusst noch als "Pre-Beta" verstanden wissen will, wer Wave testet, sollte sich klar sein, dass es derzeit noch eine ganze Reihe von Bugs und so manch fehlende Funktionalität gibt. Der relativ große Umfang des Test mit laut Google rund 100.000 Personen erklärt sich denn auch vor allem dadurch, dass man das Service durch UserInnen-Feedback weiter formen will - immerhin stampft man die Details eines neuen Kommunikationssystems nicht so einfach aus dem Boden.

Web-Client

Alle Kommunikation läuft dabei direkt über einen Web-Server ab, im konkreten Fall (aber nicht notwendigerweise - dazu später mehr) der von Google selbst. Nach dem Einloggen zeigt sich ein Interface, das zunächst einmal stark an einen Mail-Client erinnert. Neben der Navigation und den Kontakten gibt es eine Inbox sowie die Anzeige der aktuell ausgewählten Nachricht. Wobei Nachricht hier eigentlich der falsche Begriff ist, also zunächst einmal etwas grundlegende Terminologie: Die Nachrichtenstränge nennen sich "Waves", einzelne Beiträge darin "Blips". Grob gesprochen wären die Blips also einzelne Mails, während die Waves in etwa vollständigen Diskussions-Threads entsprechen würden. Allerdings ist dies wirklich nur ein recht grober Vergleich, bieten sich mit Wave doch eine Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten, die eine solche Analogie nur begrenzt sinnvoll erscheinen lassen.

Live

Dies zeigt sich gleich beim Anlegen einer neuen "Wave": Denn werden hier weitere DiskussionteilnehmerInnen hinzugefügt, so können diese den Entstehungsprozess quasi "live" verfolgen und sich umgehend daran beteiligen. Das heißt auch, dass man die Tastatureingaben anderer NutzerInnen 1:1 mitbekommt, eine Unmittelbarkeit, die sogar noch etwas über Instant Messaging oder Chat hinausgeht. Da dies möglicherweise nicht immer wünschenswert ist, soll es in Zukunft alternativ auch möglich sein, Eingaben erst verzögert sichtbar zu machen.

Nachvollziehbarkeit

Eine weitere Besonderheit: Sämtliche Teile der Diskussion lassen sich auch von allen TeilnehmerInnen editieren, wer nun Angst hat, dass dadurch wichtige Informationen verloren gehen, dem sei eine weitere Funktion von Wave vorgestellt: Über die Timeline lässt sich die Entwicklung einer Wave Schritt für Schritt nachvollziehen, dies inkludiert auch alle gelöschten Elemente. Eine Funktion, die zusätzlich elementar ist, um die Brücke zwischen der Unmittelbarkeit der Diskussion und einem langfristigen Nutzen zu schlagen. Immerhin können so auch später hinzukommende TeilnehmerInnen noch vorangegangene Prozesse im Detail nachvollziehen.

Erweiterungen

Für Diskussionen innerhalb einer Wave gibt es eine Reply-Funktion, mit einem kleinen Icon wird dabei anzeigt, welche Äußerung von wem stammt. Zusätzlich ist es aber auch möglich private Antworten zu formulieren, die nur die Autorin des ursprünglichen Beitrags sehen kann. Doch mit reiner Textkonversation kratzt man nur an der Oberfläche der Möglichkeiten des Services, schließlich ist es möglich die "Wellen" mit Gadgets zu erweitern. Über diesen Weg lassen sich etwa Karten von Google Maps einbinden, die TeilnehmerInnen können dann dort Orte und Routen einzeichnen. Ebenfalls von Haus aus mit dabei ist ein Abstimmungs-Gadget, über das schnell die Zustimmung zu einzelnen Vorschlägen abgefragt werden kann - die TeilnehmerInnen klicken hier einfach das entsprechende Icon an.

Auswahl

Da das dahinter stehende System nach der Open Social Gadget Spezifikation offen spezifiziert ist, bildet sich bereits ein wachsendes Ökosystem externer Gadgets heraus. Die Palette reicht von einfachen Task-Listen bis zum vollständigen Schachspiel, man darf durchaus gespannt sein, was findigen Web-EntwicklerInnen hier in Zukunft noch so alles einfallen wird.

Destroy him my robots

Selbiges gilt in gleichem Maße auch für eine andere Erweiterungsmöglichkeit von Wave: Die sogenannten "Robots" können eingesetzt werden, um den Inhalt einer Wave vollautomatisch zu verändern. Dies reicht von der einfachen Rechtschreibkorrektur bis zu einem Bot, der Diskussionsbeiträge "live" in eine andere Sprache übersetzt. Auch das Einblenden einer Karte beim Angeben einer Adresse oder der zugehörigen Wetterwert ist auf diese Weise einfach möglich. Um Robots zu aktivieren, werden diese wie andere TeilnehmerInnen auch aus dem Adressbuch zu einer Diskussion hinzugefügt.

Slideshow

Natürlich lassen sich in Waves auch Youtube-Videos oder Bilder einblenden, besonders nett, dass alle Bilder einer Wave in einer Slideshow gesammelt dargestellt werden können. Es ist übrigens möglich Bilder direkt per Drag & Drop vom Desktop einzufügen - vorausgesetzt freilich, dass Chrome als Browser verwendet wird oder Google Gears im eigenen Browser installiert ist. Zur einfacheren Aufspürbarkeit lassen sich Waves mit Tags versehen, außerdem werden auch längere Waves auf einer einzelnen Seite dargestellt, der Content beim Scrollen nachgeladen.

Erkundungstouren

Das Wesen des Beginns einer nicht-öffentlichen Beta birgt natürlich ein erhebliches Hindernis für die Nützlichkeit eines neuen Kommunikationssystems: Wer es schafft einen Zugang zu erlangen, kennt meist noch niemanden, mit dem sich die Untiefen von Wave erkunden lassen, doch hier gibt es mit einem kleinen Trick Abhilfe: Über die Eingabe des Suchparameters "with:public" lassen sich öffentlich frei geschaltene Waves aufspüren, ein Bereich, der derzeit vor allem von Hilfe-Beiträgen rund um Wave dominiert wird, erste Wissenssammlungen zu anderen Themen etablieren sich jedoch ebenfalls langsam.

Problematisch

In diesem Modus ist Wave einem Wiki bereits sehr ähnlich, allerdings einem mit sehr komfortabler Benutzung und zahlreichen Zusatzfunktionen. Allerdings zeigen sich hier auch am deutlichsten noch die vorhandenen Probleme mit der dahinter stehenden Software. So kommt es immer wieder vor, dass Bots eine Diskussion vollständig zerschießen - wie gesagt: Pre-Beta.

Hektik

Auch können die öffentlichen Diskussionen schnell einen gewissen Überforderungseffekt auslösen, landen doch alle angeklickten Waves automatisch in der eigenen Inbox und buhlen dort mit jedem neuen Beitrag stetig um die Aufmerksamkeit der NutzerInnen. Doch auch dies lässt sich austricksen, in dem ein eigener Suchordner angelegt wird, bei dem die automatische "Archive"-Funktion angewählt wird.

Anpassung

Das Interface von Wave ist prinzipiell recht übersichtlich geraten, nett etwa dass sich die Anzeige der eigentlichen Wave mit einem Klick (auf das Maximieren-Icon ähnlich einem Fenster am Desktop) flott auf die gesamte Seite ausbreiten lässt. Einzelne Elemente können aber auch gezielt ausgeblendet, die Größenverhältnisse individuell angepasst werden. Wünschenswert wäre für die Zukunft noch die Möglichkeit ein Default-Layout zu definieren - die Einstellungsoptionen sind bei Google Wave aber derzeit noch nicht implementiert. Aber auch sonst gibt es bei einem solch neuen Service natürlich noch spürbaren Raum für weitere Verbesserungen, so manche Funktion ist nicht immer gleich auf den ersten Blick verständlich oder in der Nutzung unnötig kompliziert geraten.

Grundsätzliches

Was in den aktuellen Betrachtungen zu Wave gerne mal vergessen wird: Es geht hier nicht einfach um einen weiteren Google-Service, die jetzt verfügbare Testversion ist nur EINE Implementation des  zugehörigen Protokolls. Alle im Hintergrund werkelnden Services und Protokolle sollen vollständig offen spezifiziert und standardisiert werden, stehen damit auch anderen Personen und Unternehmen zur Verfügung.  Konkret bedeutet dies: Wer einen eigenen Wave-Service betreiben oder auch selbst entwickeln will, dem steht dies vollkommen frei - ganz ohne dass Google irgendeinen Zugriff auf die Daten hat. Auch andere Clients - jenseits des jetzigen Web-Interfaces - wären so machbar - etwa in Form eines Desktop-Programms oder einer auf mobile Endgeräte spezialisierten Anwendung.

Sicherheit

Einige Gedanken hat man sich bei Google über die Sicherheit von Wave-Konversationen gemacht, immerhin ist dies einer der größten Schwachpunkte des jetzigen E-Mail-Systems. Wave will hier entsprechend so gut wie alles besser machen, so verspricht man etwa, dass das Fälschen von Absendeadressen nicht möglich sein soll. Zusätzlich läuft das Service prinzipiell per SSL, die Verbindung vom eigenen Rechner zum Server ist also verschlüsselt. In Zukunft soll noch ein weiteres wichtiges Feature hinzukommen: Nur jene Personen, die man in eine Whitelist aufgenommen hat, sollen überhaupt Kontakt aufnehmen können - unerwünschte Werbe-Waves werden so gleich von vornherein vollständig geblockt.

Browserfragen

Zur technischen Umsetzung sei noch erwähnt, dass Google für den eigenen Web-Client auf aktuelle Webtechnologien setzt, die Liste der unterstützten Browser entsprechend exklusiv ist. Konkret bedeutet dies vor allem: Der Internet Explorer muss draußen bleiben - in allen Versionen. Diesen Schritt begründet man nicht nur mit der mangelnden Unterstützung bei HTML/CSS sondern auch mit der im Vergleich zur Konkurrenz deutlich geringeren Javascript-Performance. Wer Wave unbedingt mit dem IE verwenden will, muss sich zuvor die "Chrome Frame"-Erweiterung installieren - damit wird die Basis von Google Chrome unter das Interface des IE geschoben. Etwas versteckt gibt es dafür bereits ein eigenes Wave-Interface für aktuelle Smartphones, sowohl auf Android-Geräten, beim iPhone als auch mit dem Nokia N900 lässt sich dieses ansurfen. Allerdings muss man auf diesen Devices zuvor der Hinweis auf die Verwendung eines anderen Browsers ignoriert werden, auch hält sich die tatsächliche Benutzbarkeit noch in Grenzen.

Bugs

Apropos Technik: Der Pre-Beta-Status von Google Wave zeigt sich derzeit noch an einer Fülle von Bugs und Performance-Problemen. Vor allem öffentliche Waves sind - aufgrund der hohen Zahl an TeilnehmerInnen - oft nur äußerst langsam zu benutzen, auch die Einbindung von Google-Maps-Karten oder die Replay-Funktion brechen nicht unbedingt Geschwindigkeitsrekorde. Einfache Waves mit wenigen NutzerInnen funktionieren hingegen bereits meist problemlos - und flott.

Fazit

Im aktuellen Zustand lässt sich nur schwerlich eine wirklich seriöse Aussage über einen künftigen Erfolg oder Misserfolg von Wave treffen. Das technische Potential ist fraglos beeindruckend, für den Erfolg ist dies aber bei weitem nicht der einzige entscheidende Faktor. So wird sich erst zeigen müssen, wie Wave im Masseneinsatz skaliert, wie reibungslos die Zusammenarbeit mit anderen Wave-Servern funktionieren wird, oder auch ob überhaupt andere Hersteller an der Entwicklung eigener Wave-Clients und -Server Interesse haben bzw. wie einfach das Protokoll zu implementieren ist.

Einsatz

Und noch viel grundsätzlicher muss sich auch erst zeigen, welche Anwendungsfälle die NutzerInnen für Wave entdecken, wohl auch nicht zuletzt aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen einer geschlossenen Beta dominieren derzeit vor allem Wiki-ähnlichen Wissenskollektionen. Aber auch Bildersammlungen, Projektplanungen und das Erstellen gemeinsamer Notizen sind quasi "logische" erste Einsatzgebiete für Wave. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bleibt die Frage, wie gut sich mehrere parallele Konversationen managen lassen werden, gerade bei öffentlichen Waves kann das subjektive Stressgefühl schon mal in ungeahnte Höhen schnellen.

Zukunft

So zeigt sich Google Wave derzeit vor allem als ein viel versprechendes Experiment, aus dem vielleicht eines Tages wirklich das wird, was die ErfinderInnen im Sinn hatten - die logische Weiterentwicklung der Internet-Kommunikation. Die Grundlagen scheinen jedenfalls gelegt. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 18.10.09)