Bild nicht mehr verfügbar.

Hier urlauben Stars besonders gern: Marthas Vineyard.

Bild nicht mehr verfügbar.

Grafik: DER STANDARD

"Das ist Martha's Vineyard! Die Menschen hier sind Rettungsschwimmer, Fischer, oder sie besitzen ein Restaurant, aber niemand ist beim Film." Matt Damon möchte seinem siamesischen Zwillingsbruder Greg Kinnear, der so gerne ein großer Schauspieler wäre, mit diesen Worten klarmachen, dass für ihn in Hollywood nichts zu holen sei. Man würde sie nur als Freaks belächeln. Hier hingegen, in der malerischen Provinz, sind sie Teil einer intakten Gemeinschaft.

In Unzertrennlich (Stuck on You), einer Komödie der Farrelly-Brüder, steht Martha's Vineyard für das Ideal einer nostalgischen Kleinstadt, die sich als sehr weltoffen entpuppt. Der Pier, auf dem Damon seinem Bruder ins Gewissen redet, gehört allerdings woandershin - zum Fischerdorf Rockport, das 200 Kilometer weiter nördlich am Cape Ann liegt. Vertretungsjobs sind im Film keine Seltenheit, beide Orte gehören immerhin zum US-Bundesstaat Massachusetts - und stehen nun mit geeinten Kräften für die gleiche Idee von Ostküstenidylle.

Überraschenderweise sehen sie in Wirklichkeit kaum anders aus. Sowohl Martha's Vineyard als auch Rockport beschwören das Bild eines heilen Amerikas der Vergangenheit herauf. Wenn die zahlreichen Tagesbesucher von The Vineyard wieder fort sind, wirkt das edle Lieblingsdomizil von Stars und Politikprominenz, die hier noch von Paparazzi unbelästigt an den Stränden verweilen können, ein wenig wie ein pittoreskes Freiluftmuseum. Außerdem ist die Insel - authentisch puritanisch - eine alkoholfreie Zone: Die einzige, entsprechend beliebte Bar versteckt sich irgendwo in der Nähe des Flughafens.

Mit ihren schmucken grau-weißen Holzhäusern, dem überall wuchernden wilden Wein, kleinen Inns, die zu einem "Hide-away"-Wochenende samt Himmelbetten, Kaminfeuer und nobler Zurückhaltung verführen möchten ("Das Letzte, was meine Gäste sehen wollen, bin ich", scherzt der Betreiber des Thorncroft Inn) verbreitet die Insel fast schon zu viel an Harmonie. Genau deshalb muss Steven Spielberg einst auf die Idee gekommen sein, Der weiße Hai an ihren populären Beach-Ressorts zu drehen. Heute ist Menemsha, einer der Drehorte des Fisch-Actionreißers, wieder ein schläfriger Hafen, an dem man Hummer verspeisen, eine "clam chowder" (extrem nahrhafte Muschelsuppe) probieren oder einfach aufs Meer hinausschauen kann.

Für Aufregung sorgen in Martha's Vineyard dagegen Ereignisse wie der sommerliche Ferienbesuch von Barack Obama. Überall gibt es T-Shirts mit Obama-auf-Vineyard-Aufdrucken, in einem Grocery-Store, dem der Präsident mit Töchtern die Ehre erwies - der Fotobeweis hängt neben der Tür -, gar ein backofenfrisches Obama-Cookie. Hier zeigt sich, dass man aus dem Umstand, das erste Urlaubsdomizil im Staate zu sein, einigen Profit schlagen kann.

Politiker haben die Küsten von Massachusetts schon immer geschätzt. Das mag daran liegen, dass hier einst schon die ersten Pilger den Anker geworfen haben - angeblich in Plymouth, richtigerweise aber auf der Halbinsel Cape Cod. Wahrscheinlicher aber ist es, dass auch sie einfach die Schönheit der Dünenlandschaft anzieht. Die Kennedys besitzen bei Hyannis ihre Sommerresidenz, in der Kleinstadt findet sich auch ein Museum über den Clan, in dem hauptsächlich Fotos aus unbeschwerteren Sommertagen zu sehen sind. JFK war es auch, der Cape Cod dazu verhalf, ein Naturparadies zu bleiben, in dem er eine 60 Kilometer lange Strandzone 1961 zum National Park erklärte. Bis heute darf hier nicht gebaut werden.

Dass das Filmbusiness an Massachusetts immer mehr Gefallen findet, liegt nicht nur an der Diversität seiner Landschaften, sondern an einem erfolgreichen Steueranreiz, der 25 Prozent der im Land ausgegebenen Produktionskosten zurückerstattet. Allein zischen 2006 und 2008 entstanden zwanzig Filme, rund 450 Millionen Dollar flossen im letzten Jahr herein - manche sprechen bereits von einem "Hollywood of the East".

Nahe der Stadt Plymouth, auf dem Gelände eines Golfplatzes, werden in den nächsten beiden Jahren die Plymouth Rock Studios aus dem Boden gestampft, ein 550-Millionen-Dollar-Projekt, das über 14 "sound stages" (Großhallen für Studiodrehs) verfügen wird und damit eine echte Basis für Großproduktionen darstellt - wovon man sich einen starken wirtschaftlichen Impuls erhofft.

Gedreht wird, vor allem in Boston, schon jetzt an jeder zweiten Straßenecke: Ben Affleck, der in der Nähe der Stadt lebt, arbeitet an seiner zweiten Regiearbeit, dem Thriller The Town; schon sein rau-realistisches Debüt Gone Baby Gone nützte die Suburbia von Boston und Quincy als Schauplatz. Auch Martin Scorsese, dessen Gangsterfilm Departed dem "Filmland" Massachusetts viel Schwung brachte - die "Boston Movie Walking Tour" arbeitet sich unter anderem an den Entstellungen der Stadt durch den Film ab -, kehrte für seinen neuen Film Shutter Island zurück. Sympatischerweise malt keiner der Filme ein besonders touristenfreundliches Bild: Gangster, Morde, Entführungen sind ihre Themen. Da passt es dazu, in Boston im neuen Designhotel The Liberty zu übernachten, das in einem ehemaligen Gefängnis untergebracht ist.

Die Familie Crane kam nicht nur le- gal zu ihrem Geld - sie baute Sanitäranlagen -, sie war auch für ihre Großzügigkeit bekannt. Ihre Sommerresidenz in Ipswich ist eine an Schlösser angelehnte Übertreibung (mit exaltierten Badezimmern!). Das Haus wurde schon oft als Filmschauplatz genützt - etwa für die John-Irving-Adaption Die Hexen von Eastwick.

Die Region North of Boston, nahe am Cape Ann, stand immer ein wenig im Schatten des großen Bruders Cape Cod im Süden. Die Orte, etwa Gloucester, haben lange vom Fischfang und Bootsbau gelebt und vermitteln noch heute einen spröderen Charme. Vielleicht hat man deshalb hier in der Nähe, bei "Woodmann's", die "fried clams" erfunden, panierte Muscheln, die einen gegen so manche Böe, die über die Moorlandschaften fegt, immun machen - einen Film wäre diese Erfolgsgeschichte allemal wert. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD/Rondo/16.9.2009)