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Darf als "blutrünstig" bezeichnet werden: Stalin.

Foto: AP/Sergei Grits

Ein Moskauer Bezirksgericht hat eine Verleumdungsklage von Jewgeni Dschugaschwili, Enkel von Josef Stalin, gegen Nowaja Gaseta abgewiesen. Die Kreml-kritische Zeitung, für die auch die 2006 ermordete Anna Politkowskaja schrieb, hatte in einem im April erschienenen Artikel über das Massaker an polnischen Offizieren in Katyn Stalin vorgeworfen, persönlich die Ermordung tausender Menschen befohlen zu haben.

Vor allem den Satz "Stalin und die Tschekisten stehen für Ströme von Blut, für schwerste Verbrechen, vor allem gegen das eigene Volk" empfindet der Nachkomme von Josif Dschugaschwili (so der ursprüngliche Name Stalins) als Verunglimpfung seines Großvaters. Er forderte von der Zeitung eine öffentliche Entschuldigung und ein Schmerzensgeld in Höhe von zehn Millionen Rubel (rund 230.000 Euro).

Die Richterin befand jedoch, dass Nowaja Gaseta das Ansehen des Diktators nicht durch einen kritischen Artikel herabgewürdigt habe. Die Anhänger der Zeitung bejubelten das Urteil, das von vielen Beobachtern als Grundsatzentscheidung angesehen wird. Der Radiosender Echo Moskwy berichtete jedoch, dass etliche ältere Stalin-Verehrer laut "Schande" riefen.

Für den Rechtsanwalt von Nowaja Gaseta, Genri Resnik, zeigt der Fall, dass Russland die stalinistische Vergangenheit auch 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges noch immer nicht aufgearbeitet hat. Die Schrecken des Stalinismus dürften nicht verdrängt werden. "Stalin ist tot, aber der Stalinismus ist unglücklicherweise noch lebendig" , beklagte Resnik.

Erst im Sommer sorgte die Wiederöffnung der Metro-Station Kurskaja für heftige Diskussionen über das Erbe Stalins. Auf einer Inschrift, die in den 50er-Jahren entfernt wurde und nun nach der Restaurierung wieder auftauchte, wird dem Diktator gehuldigt. Für viele Russen stehen nicht Stalins Gräueltaten im Vordergrund, sondern sein Sieg gegen Hitler-Deutschland und sein Beitrag zum Aufstieg der Sowjetunion zur Supermacht.

Erst kürzlich warnte die Kreml-Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa vor einem Rückfall in "finstere Sowjetzeiten" , weil die regierungsnahe Jugendorganisation "Naschi" (Die Unsrigen) einen Journalisten wegen dessen Kritik am Sowjetsystem terrorisiert. Die Jugendlichen fordern eine Entschuldigung des Journalisten und belagern seinen Wohnsitz. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 15.10.2009)