Bis vor kurzem lief das Ganze in der ÖVP noch unter dem Titel "Zwangstagsschule". Und da war man selbstverständlich dagegen. Die lieben Kinder sollten besser daheim - sprich: bei der maximal halbtags berufstätigen Mama - die Hausübungen machen, die private Nachhilfe besuchen oder den vom Papa finanzierten Russischkurs belegen. Und die Lehrer? Mit denen legt man sich nicht an.

Noch im Frühjahr ließ man die Bildungsministerin mit ihrer Forderung auflaufen, wonach Lehrer zwei Stunden länger im Klassenzimmer stehen sollten. Die Gewerkschaft boykottiert solche Reformvorhaben auch heute. Aber die ÖVP hat sich geändert. Plötzlich ruft deren Parteichef: "Her mit der Debatte!" , will selbst Budgetmittel für das Projekt Ganztagsschule nicht ausschließen - und meint dabei etwas ganz anderes, als es sich Experten seit langem wünschen.

Von einem über den Tag verteilten Wechsel zwischen Lern- und Regenerierungsphasen ist da keine Rede. Auch die Adaptierung der Schulhäuser, um die Lernumgebung für Schüler und Lehrer angenehm zu gestalten, findet da keinen Platz. Für die ÖVP geht es um eine reine Betreuung. Am heiligen Vormittag, unterteilt in sechs Unterrichtshappen à 50 Minuten, soll sich gar nichts ändern. Dass die Lehrer da Widerstand leisten, ist verständlich. Würde man ihnen einen gut ausgestatteten Ganztagsarbeitsplatz bieten, wären die Argumente gegen mehr Zeit in der Schule wohl enden wollend. Aber die ÖVP steuert gerade jene reine Zwangstagsschule an, gegen die sie jahrelang gekämpft hat. (Karin Moser, DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2009)