Als Annelie Weinberg sich Ende der 1980er-Jahre an der Uni Hannover in Unfallchirurgie habilitierte, war das Fach eine reine Männerdomäne. Sie baute einen eigenen Bereich auf, "den mir keiner streitig machen wollte": Unfallchirurgie im Kindesalter.

"Wer sich mit Kindern beschäftigt, gilt bis heute nicht als Macher", zieht die habilitierte Ärztin Bilanz. Mit der Leitung des an der Med-Uni Graz neu geschaffenen Laura-Bassi-Exzellenzzentrums Bric will sie den Fokus in Form eines Forschungsauftrags einmal mehr auf Kinder ausrichten, denn junge Menschen sind für Medikamenten- und Implantathersteller an sich kein Markt.

Bric umfasst ein Konsortium aus mehreren Unis und einem Industriepartner: "Gemeinsam versuchen wir resorbierbare Implantate für Knochenbrüche zu entwickeln, die sich im Körper auflösen, und diese nach eingehender Prüfung klinisch anzuwenden. So würde eine zweite Operation zur Entfernung überflüssig. Im Gegensatz zum Erwachsenenalter ist in der Kindertraumatologie nicht die Heilung das Problem, sondern der Erhalt der Wachstumschancen", berichtet die 48-Jährige, die seit 2005 an der Grazer Uni-Klinik für Kinderchirurgie arbeitet.

Für Annelie Weinberg sind jedenfalls Kinder die besten Patienten der Welt - wenn man ihre Sprache versteht und sich auf sie einlässt. "Sie hören noch auf ihren Körper und sind kooperativ und können sich auch an Handicaps noch anpassen", schwärmt sie. Als verantwortliche Oberärztin für Kindertraumatologie beschäftigt sie sich außerdem mit allen Körperteilen.

Die Herausgeberin mehrerer Lehrbücher zum Thema schließt nach einer Reihe von Zusatzausbildungen gerade ein MBA-Studium für Gesundheitsmanagement ab: "Um etwas zu verändern, muss man die Sprache verstehen, in der gehandelt wird. Oft genug kommuniziere ich im Krankenhaus mit Juristen oder Betriebswirten, die von der Behandlung von Patienten nicht so viel verstehen. Ihnen komme ich in der Kommunikation entgegen."

Wichtig ist der im deutschen Konstanz geborenen Ärztin vor allem Wertschätzung und Leistungsorientierung. Sie sieht sich als Mentorin ihrer Mitarbeiter und stärkt deren Selbstbewusstsein, indem sie früh Verantwortung übergibt. Als Lehrende propagiert sie anwendungsorientierte, chirurgische Forschung und gibt ihr erworbenes Wissen und ihre Erfahrung gern weiter, "damit die nächste Generation noch besser wird als man selbst".

Leider sei das im deutschsprachigen Raum nicht so selbstverständlich wie in den USA, meint Weinberg. Den Vermittlungsstil hat sie an der University of California in Los Angeles erlebt und dann gern beibehalten. Deswegen macht es sie als Lehrerin besonders stolz, wenn ein Schüler internationale Erfolge feiert.

In ihrer Karriere musste sie auch oft improvisieren: "In der Chirurgie gibt es keine Teilzeit", betont Weinberg. Deshalb baute die Unfallchirurgin nach der Geburt ihrer Tochter ein ambulantes Rehabilitationszentrum am Klinikum Braunschweig auf und leitete es - anstatt zu operieren.

Wenn die Zeit reif ist, will Annelie Weinberg eine Leitungsfunktion in der Unfallchirurgie einnehmen und so endgültig jene zum Schweigen bringen, die immer wieder sagen, dass sie ja "nur" in der Kindertraumatologie kompetent sei. Das Laura-Bassi-Zentrum - das im Rahmen einer Initiative des Wirtschaftsministeriums zur Stärkung von Frauen in Forschungseinrichtungen gegründet wurde - sieht Weinberg jedenfalls als einen wichtigen Meilenstein auf diesem Weg. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe 14.10.2009