Bild nicht mehr verfügbar.

Die deutsche Kathrin Schmidt stach Nobelpreisträgerin Herta Müller aus - und lobte sie dann in ihrer Dankesrede.

Foto: AP/Probst

Auch Herta Müller war gekommen. Ganz wie die fünf anderen Autorinnen und Autoren, deren Bücher auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gewählt worden waren, saß sie im Publikum und erwartete das Ergebnis der Jury. Nein, nicht ganz genauso. Die Literatur-Nobelpreisträgerin war umringt von Fotografen - und keiner der zahlreichen Redner versäumte, ihr zu gratulieren.

Den fünften Deutschen Buchpreis jedoch gewann an diesem Abend nicht Herta Müllers Roman "Atemschaukel" - sondern das Buch einer weit weniger bekannten Autorin: Kathrin Schmidts "Du stirbst nicht". Der Roman erzählt den mühsamen Weg der Wiedererlernung des Lebens einer Autorin, die nach einer Gehirnblutung aus dem Koma erwacht - und neben ihrem Gedächtnis auch ihre Sprache verloren hat.

Wort für Wort kehrt sie in ihre Umgebung zurück - eine Erfahrung, die Katharina Schmidt selbst, nach einer ähnlichen Gehirnblutung vor sieben Jahren, durchlebte. Die in der DDR aufgewachsene Autorin verknüpft jene mitunter verstörende Neuentdeckung des Daseins durch ihre Protagonistin mit dem Untergang einer Gesellschaft in den Jahren nach der Wiedervereinigung 1989.

"Die literarische Darstellung des Prozesses des Erinnerns in seiner Vielfalt" nannte Jury-Sprecher Hubert Winkels die auffallendste Gemeinsamkeit zahlreicher der annähernd 200 Romane, die das siebenköpfige Gremium, dem aus Österreich die Literaturkritikerin Daniela Strigl angehörte, während der letzten Monate gelesen hatte.

Die Vielfalt des Erinnerns und das Interesse an stillen Schauplätzen jenseits der Metropolen. In Norbert Scheuers Roman "Überm Rauschen" ist es die Eifel mit ihren Flüssen und Fischen, die die Atmosphäre der Erzählung trägt, bei Clemens J. Setz, mit seinem 700-Seiten-Werk "Frequenzen" der einzige Österreicher auf der Shortlist, Graz, die Stadt, in der er seit seiner Kindheit lebt. Stefan Thome, der in Taiwan arbeitende Sinologe, siedelt seinen Debut-Roman "Grenzgang" in einem hessischen Dorf an, wo der 37-Jährige Menschen schildert, die sich nach dem Scheitern ihrer Lebensentwürfe einer stilleren Wirklichkeit ausgesetzt sehen.

Ob der mit 25.000 Euro dotierte Deutsche Buchpreis seinem selbst gesteckten Anspruch, den "besten Roman in deutscher Sprache" zu küren, gerecht wird, oder ob er, wie Thomes Protagonisten, hinter den eigenen hochtrabenden Zielen zurückbleibt, ist auch im fünften Jahr seiner Existenz zu hinterfragen. Bemerkenswert jedoch ist die Tatsache, dass er erneut die Aufmerksamkeit der Leser auf das Werk einer Autorin lenkt, die bisher von den Medien wenig beachtet wurde. (Cornelia Niedermeier aus Frankfurt am Main, DER STANDARD/Printausgabe, 13.10.2009)