Dort, wo früher die Menschen in Schlangen vor den Fahrkartenschaltern standen, klafft jetzt ein riesiges Loch im nackten Stahlbeton. Eine Rampe aus Holzbrettern führt hinunter, die in der braunen Erde ihr sozusagen natürliches Ende findet. Im Untergeschoß wird von Männern mit blauen Helmen und in gelben und orangen Sicherheitswesten schweres Gerät bewegt. Oben sieht man genauso viele Warnwesten und Helme, aber etwas weniger Baumaschinen. Was daran liegen könnte, dass sich hoher Besuch in der alten Kassenhalle des Westbahnhofs angekündigt hatte.

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Wobei die Ortsangabe "Westbahnhof, Kassenhalle" auf der Einladung zur Pressekonferenz mit der Verkehrsministerin, das soll hier auch nicht unerwähnt bleiben, durchaus noch den Zusatz "Baustelle" vertragen hätte, denn Kassenhallen hat der Wiener Großbahnhof irgendwie gerade zwei: Eine in dem provisorischen Anbau, der während der Neugestaltung des Großbahnhofs zwischenzeitlich als Behausung für eh alles dient.

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Und dann ist da eben die alte Kassenhalle, sprich: Großbaustelle. In eben diese lud Doris Bures am Montag gemeinsam mit dem (für Bernhard Felderer kurzfristig eingesprungenen) IHS-Experten Ulrich Schuh, um eine "Zwischenbilanz zum Konjunkturpaket Schiene" zu ziehen. Mehrere Journalisten, darunter der Autor dieser Zeilen, hatten sich zunächst im hektisch betriebsamen Anbau verlaufen.

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An der Baustellen-Einfahrt direkt am Gürtel wurden schließlich blaue Helme sowie gelbe und orange Sicherheitswesten zügig an die eintrudelnden Presseleute ausgeteilt. Damit war klar: Die Zwischenbilanz wird weniger gezogen, sondern mehr gehämmert, gebohrt und überhaupt bewegt.

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"Die ÖBB ist ein entscheidendes Unternehmen, das jeden Tag 1,2 Millionen Kunden hat", sagte die SP-Ministerin dann gleich zu Beginn. Ein transparentes Zelt hatte man ihr aufgestellt, Mikrofone waren vermutlich das erste, woran die mit der Vorbereitung betrauten Personen gedacht hatten.
Nicht jede Kritik der letzten Tage und Wochen an der Bundesbahn sei gerechtfertigt gewesen, betonte Bures. An den ganzen Problemen sei aber die schwarz-blaue Regierung schuld; bei deren ÖBB-Reform im Jahr 2004 seien "untaugliche Strukturen" entstanden, die eine "Zerklüftung an Gesellschaften" zur Folge hatten.

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Die Bahn brauche aber "klare Verantwortlichkeiten", weshalb die jetzige Regierung im Sommer die Rahmenbedingungen für eine neue Reform geschaffen habe: Unter der Holding solle es künftig nur noch drei Gesellschaften geben, nämlich "Güterverkehr", "Personenverkehr" und "Infrastruktur". Das Management sei nun klar gefordert, diese Strukturreform rasch umzusetzen, so Bures.

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Bis 2014 investiere die Regierung die Rekordsumme von 13,2 Milliarden Euro in die Infrastruktur der Bahn, für die Konjunkturpakete 2009-2014 stünden weitere 700 Millionen zur Verfügung. Damit steuere man einerseits der Krise entgegen und sichere die Beschäftigung, andererseits seien dies auch Zukunftsinvestitionen in die Zeit nach der Krise.

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IHS-Experte Ulrich Schuh wies darauf hin, dass jeder Euro, der in die Infrastruktur investiert werde, einen weiteren Euro an Wertschöpfung generiere. Diese bleibe noch dazu vollständig im Inland, nichts davon fließe ans Ausland ab. Die Regierung hat aus seiner Sicht genau das getan, "was hinsichtlich der langen Vorlaufzeiten von Infrastrukturprojekten möglich war".
Das IHS rechnet für das heurige Jahr mit einem Rückgang der österreichischen Wirtschaftsleistung von bis zu vier Prozent, ohne die Konjunkturpakete würde die Wirtschaft möglicherweise um ein weiteres Prozent einbrechen, so Schuh.

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Ihre eingangs erwähnte Kritik an den ÖBB-Kritikern präzisierte die Verkehrsministerin schließlich noch. An dem ausgewachsenen Fahrplan-Desaster seien die schon erwähnten, 2004 geschaffenen "untauglichen Strukturen" hauptsächlich schuld. Bezüglich der Krankendaten-Affäre stellte sie klar, dass es im Interesse jedes Unternehmens sei, gesunde Mitarbeiter zu haben. Dass das Ziel von weniger Krankenständen aber mit ungesetzlichen Mitteln verfolgt werde, "das geht sicher nicht". Sie habe den Aufsichtsrat mit einer Sachverhaltsdarstellung beauftragt, die in den nächsten Tagen eintreffen sollte.

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Zur von den ÖBB geplanten Teilverlagerung von Gütern auf die Straße meinte sie schließlich, es gäbe hier eine "klare Eigentümerstrategie", und die laute: "Von der Straße auf die Schiene verlagern." Österreich sei hier allerdings ohnehin schon im europäischen Spitzenfeld, 30 Prozent der Güter werden hierzulande bereits auf der Schiene transportiert. Nichtsdestotrotz werden gerade vier Güterterminals ausgebaut, und zwar in Wien, Wels, Wörgl und Wolfurt, so Bures. Darüber hinaus werden 54 Bahnhöfe und Haltestellen modernisiert, der Lückenschluss der viergleisigen Westbahn im Raum St. Pölten vorangetrieben, und auch 26 Eisenbahnkreuzungen sicherer gemacht.

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Auf die Frage, ob tatsächlich alle diese Investitionen Sinn machen würden, räumte Bures ein, dass es bei großen Bauvorhaben - Stichwort Koralmtunnel - einen "point of no return" gäbe. Ein Baustopp bei dem höchst umstrittenen Projekt wäre eine weitaus stärkere "Vergeudung von Steuergeldern". Wegen des nun ebenfalls kommenden Semmering-Basistunnels sei im Zusammenspiel mit dem Koralmtunnel aber auch eine Beschleunigung der Südbahnstrecke möglich.
Schuh wies bezüglich des Koralmtunnels auf die nötige Unterscheidung zwischen betriebswirtschaftlichem und volkswirtschaftlichem Nutzen hin.

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Nach Ende der Pressekonferenz, beim Verlassen der Großbaustelle vorbei an mit Eisenträgern gestützten Stahlsäulen, einer verlassenen Kreissäge und zwei Dixie-Klos, wurde ein Bauarbeiter bei der Generierung seines ganz privaten Nutzens beobachtet: Mit einer Mütze voller Köstlichkeiten vom delikaten Buffet wuselte er nach draußen in den Regen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 12.10.2009)

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