Das Nobelpreiskomitee in Oslo hat mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama eine kluge Entscheidung getroffen - und gleichzeitig eine ziemlich verantwortungslose.

Kein anderer Mensch trug im vergangenen Jahr mehr zu positiven Veränderungen in der Weltpolitik bei als der Charismatiker im Weißen Haus. Bereits die Wahl des ersten schwarzen Präsidenten war ein symbolischer Meilenstein für die Rassenbeziehungen in den USA und das Verhältnis zwischen Völkern und Kontinenten.

Seit seinem Amtsantritt hat Obama die in ihn gesetzten Erwartungen einer grundlegenden Wende der US-Politik kaum enttäuscht. Sein Bekenntnis zum Multilateralismus, sein Vertrauen in die Mittel der friedlichen Diplomatie, seine Befürwortung des Eintretens für eine nukleare Abrüstung und seine Bereitschaft zum Kampf gegen den globalen Klimawandel haben eine völlig neue Atmosphäre des Aufbruchs und der Hoffnung geschaffen. Mit seiner Rede in Kairo wies er einen Ausweg aus dem "Kampf der Kulturen" zwischen dem Islam und dem Westen.

Dass Obama in diesen acht Monaten von seinen hochtrabenden Plänen nur wenig umsetzen konnte, spräche noch nicht gegen die Nobelpreis-Entscheidung. Auch Martti Ahtisaari wurde 2008 mehr für seine Bemühungen im Kosovo als für seine Erfolge geehrt.

Aber der Finne war zu diesem Zeitpunkt Vermittler, und Obama ist Oberkommandierender der weltgrößten Militärmacht, die unter seiner Führung in zwei blutige Kriege verstrickt ist und gegenüber anderen Staaten Militärschläge nicht ausschließt. Das passt nicht gut zu einem Friedenspreis.

Der Präsident einer Supermacht kann nicht nach der Attraktivität seiner Ideen beurteilt werden, sondern nach den Ergebnissen seiner Politik. Und diese stehen bei Obama in allen für das Nobelpreiskomitee bedeutsamen Bereichen - von der Abrüstung bis zum Nahostfrieden - noch in den Sternen.

Deshalb kommt der Nobelpreis für Barack Obama auf jeden Fall zu früh. Ein erster Abrüstungsvertrag mit Russland, ein greifbarer Fortschritt bei einem neuen Klimabkommens oder eine Mini-Einigung zwischen Israel und den Palästinensern hätte den Kritikern, die Obama schöne Worte ohne Substanz vorwerfen, etwas Wind aus den Segeln genommen.

Der Preis kommt außerdem für den Ausgezeichneten höchst ungelegen. Die zusätzliche Aufmerksamkeit einer Rede in Oslo hat ein US-Präsident nicht notwendig. Der Preis beflügelt dafür jene unrealistischen Heilserwartungen, die Obama seit dem Wahlkampf begleiten und seine politische Bilanz nun schlechter aussehen lassen, als sie es in Wirklichkeit ist. Er gibt ihm die Aura einer Friedenstaube, wenn er gegenüber Nordkorea, Iran oder den Taliban auch Härte demonstrieren muss.

Und er gibt vor allem jenen innenpolitischen Gegnern frische Munition, die Obama stets vorwerfen, sich mehr um die Bewunderung der Weltöffentlichkeit zu kümmern - vor allem jenen der Europäer - als um die Interessen der einfachen US-Bürger. Bei Durchschnittsamerikanern, die um Job und Eigenheim zittern und wenig Vertrauen in Obamas Reformpläne haben, wird die Auszeichnung aus Oslo die Skepsis gegenüber dem weltmännisch-elitären Präsidenten noch weiter verstärken. Das kann Obama in seinem Kampf mit dem Kongress um eine neue Gesundheits- und Klimapolitik in einem kritischen Moment schwächen.

Diese Folgen hätte das Komitee, das oft schon tagespolitisch entschieden hatte, bedenken können. Oft schon wurde in der Vergangenheit der Zweck des Friedensnobelpreises infrage gestellt. So sehr die diesjährige Wahl für Schlagzeilen sorgt, so wenig hilft sie, solche Zweifel auszuräumen. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2009)