UniStandard: Was heißt "soziale Durchlässigkeit", und wie sieht es damit in Österreich aus?

Hartmann: Soziale Durchlässigkeit bedeutet, dass alle einer Generation, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, die gleichen Chancen auf hohe Bildungsabschlüsse haben. In Österreich ist die soziale Durchlässigkeit gering.

UniStandard: Welchen Einfluss haben Zugangsbeschränkungen auf die soziale Selektion?

Hartmann: Sie werden sie verschärfen. Grundsätzlich gilt die Regel: Jede Selektionshürde verschärft die Selektion auch in sozialer Hinsicht. Vor allem beim Zugang zum Masterstudium wird es zu einer sozialen Selektion kommen.

UniStandard: Ist die dadurch entstehende Konkurrenz unter den Studierenden gut?

Hartmann: Nein, da alle vom ersten Semester an wissen, nur wenn sie im Bachelor eine bestimmte Note erreichen, haben sie eine Chance, in einen Master zu kommen. Selbst wenn alle besser würden: Es würde sich außer dem notwendigen Notenschnitt nichts ändern. Der Druck wird enorm, und es wird nur noch gelernt, was prüfungs- und notenrelevant ist. Alles, was links und rechts ist, wird liegengelassen.

UniStandard: Entwickeln wir uns immer mehr zu einer Leistungsgesellschaft?

Hartmann: Nicht einmal dazu, sondern zu einer Gesellschaft, in der Druck und Kontrolle eine unglaublich große Rolle spielen. Leistung ist früher auch erbracht worden, wissenschaftlich und wirtschaftlich. Heute erhöht man den Druck. Das geht auf Kosten der Menschen. Die psychologischen Beratungsstellen an den Unis haben viel mehr Studierende zu betreuen.

UniStandard: Wieso gab es keinen Aufschrei, als die UG-Novelle verabschiedet worden ist?

Hartmann: Für den normalen Studierenden ist nicht erkennbar, welche Konsequenzen die Hochschulpolitik in Gremien hat. Weiters ist Bildung im öffentlichen Diskurs durch die Wirtschaftskrise in den Hintergrund gerückt. Bei den Professoren fallen zwei Entwicklungen zusammen, die sich gegenseitig begünstigen: das fehlende politische Interesse der jüngeren Generation von Professoren und gleichzeitig der Versuch, die akademische Selbstverwaltung von oben her auszuhebeln.

UniStandard: Glauben Sie, dass durch die Abschaffung der Studiengebühren die Studierenden zufriedengestellt werden und es dadurch leichter fällt, Masterzugangsbeschränkungen einzuführen?

Hartmann: Ich glaube ja, weil die Masterzugangsbeschränkungen anders als die Studiengebühren die Studierenden sehr unterschiedlich treffen. Diejenigen, die sich gute Noten ausrechnen, werden sagen: "Uns kann das egal sein." Das ist bei Studiengebühren anders. Da war der Vorteil, dass sie die Studierenden insgesamt, gleichermaßen unmittelbar betroffen haben. Das hat dazu geführt, dass der Mobilisierungseffekt relativ groß war. Es wird vielleicht auf einzeluniversitärer Ebene Proteste geben. Aber ich glaube nicht, dass es flächendeckend zu Widerstand kommt. (Astrid-Madleine Schlesier/DER STANDARD, 08.10.2009)