Innsbruck - Michaela ist 17, als sie von zu Hause abhaut. Über ihre Situation will sie nicht reden, zurück in ihr Heimatdorf will sie auch nicht: "Ich habe es einfach nicht mehr ertragen" , sagt sie.

Im Chill-Out, zentral gelegen in der Innsbrucker Heiliggeiststraße, in der Übergangs-WG für Jugendliche zwischen 13 und 21 Jahren, sind alle zehn Zimmer besetzt. "Wir haben ihr erst einmal eine Pension gesucht, bis bei uns etwas frei war" , erzählt Chill-Out-Sozialarbeiterin Sabine Trummer.

Das Chill-Out, offene Räume, bunt bemalt, mit stabilem Mobiliar, aber vor allem mit Beratung, psychosozialer Betreuung und Betten, hätte es eigentlich auch nicht geben können. Immerhin glaubten Behörden und Landespolitiker vor etwas mehr als zehn Jahren nicht, dass es wohnungslose Jugendliche in Tirol überhaupt gebe: Jugendliche, die abhauen, weil die Situation daheim ausweglos erscheint. Jugendliche, die von ihren Eltern rausgeschmissen werden, weil sie nicht "funktionieren" . Weil sie die Lehre abbrechen, weil sie die Schule schwänzen, erzählt Chill-Out-Betreuerin Trummer.

Eine sozialwissenschaftliche "Bedarfserhebung" wurde Ende der Neunzigerjahre in Auftrag gegeben. Diese bestätigte, dass es auch in Tirol unglückliche Jugendliche und überforderte Eltern gebe. Durchschnittlich werden 184 Jugendliche pro Jahr wohnungslos und stehen im Notfall auf der Straße, wurde errechnet. Der Bedarf nach einem Chill-out-Platz, also zum Abhängen, schien gegeben.

Zehn Jahre später waren immerhin 750 Burschen und Mädchen zwischen 13 und 21 Jahren imChill-Out. Sozialarbeiterin Trummer widerspricht aber einem gängigen Vorurteil gegenüber Kids, "vielleicht mit filzigen Haaren oder zerrissenen Jeans" : "Null-Bock-Stimmung gibt es hier nicht. Alle Jugendlichen wollen etwas. Egal, aus welch tristen Lebenssituationen sie kommen. Einen Job, Familie, eine eigene Wohnung und am besten einen Garten." Für Michaela wurde mittlerweile ein Platz in einer WG der Jugendwohlfahrt gefunden. Im Chill-Out bleiben Jugendliche nur in Ausnahmefällen länger als drei Monate. Über das Arbeitsmarktservice (AMS) wird ein Kurs gesucht, um den idealen Beruf für Michaela zu finden. "Der Arbeitsmarkt ist schon für Jugendliche mit guten Zeugnissen derzeit schwierig, mit unseren Jugendlichen sind wir fast gänzlich auf das AMS angewiesen" , sagt Trummer. Ihr bleibe derzeit nur, auf bessere Zeiten zu hoffen. (Verena Langegger, DER STANDARD - Printausgabe, 9. Oktober 2009)