Wien - Mitten im Wald, im vermeintlichen Nirgendwo stehen drei schlanke Pfosten. Zwei von ihnen sind hübsch bunt gestreift. Man könnte meinen, es handle sich um eine rituelle Begegnungsstätte, dabei markieren die drei Stelen die slowakisch-ukrainische Grenze. Zwischen der schlichten Unschuld dieser bemalten Pfeiler und ihrer tatsächlichen Bedeutung tut sich bald ein prekärer gegenwärtiger Lebenszusammenhang auf.

In einem Warteraum im Bundesasylamt in Wien steht ein mächtiger schwarzer Korpus, ein Monitor ist darin eingelassen und eine Reihe von Knöpfen und schriftlichen Instruktionen. Über den Bildschirm flattert unter anderem die rot-weiß-rote Fahne, der Donauwalzer erklingt, und eine Stimme gibt sachdienliche Hinweise zum Asylantrag - per Knopfdruck kann man an diesem Beratungsautomaten die Sprache wechseln.

Auf einem niederösterreichischen Bahnhof treffen zwei junge Somalierinnen und die ältere Landsfrau, die sie unterstützt, auf einen Einheimischen. Der Mann, der die drei aggressiv angeht und beschimpft, sei krank, er leide offensichtlich an Ausländerangst, erklärt die Begleiterin. Die Mädchen reagieren halb eingeschüchtert, halb belustigt auf diese weitere kulturelle Eigenheit neben anderen, die sie in ihrem Exilland schon kennengelernt haben.

Schlupflöcher, Endpunkte

Diese drei exemplarischen Ausschnitte umreißen, worum es in Nina Kusturicas Dokumentarfilm Little Alien geht: Er begleitet in Österreich über einen längeren Zeitraum hinweg sogenannte "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge", die noch keinen gesicherten rechtlichen Status haben. Er begibt sich weiters an Orte - an besagte Grenze, nach Tanger, in die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla oder den griechischen Hafen Patras -, die entscheidende Schlupflöcher oder Endpunkte auf Wegen in die Festung Europa markieren.

Und er konterkariert Begegnungen mit Jugendlichen da wie dort mit Beobachtungen jener technischen und bürokratischen Strukturen, in denen sich die Jugendlichen auf dem Weg aus einer politisch oder ökonomisch untragbaren Lage in erhoffte bessere Zukunft nicht selten buchstäblich verfangen.

Little Alien hat einerseits ein feines Sensorium für diese Versatzstücke systematischer Ausgrenzung und Abschottung. Wiewohl die dafür Verantwortlichen nie im Film auftauchen, werden die Apparaturen, Grenzwälle, Überwachungsanlagen als gemachte wahrnehmbar - auch den österreichischen Beratungsautomaten hat schließlich jemand entworfen und "gefüllt", Donauwalzer inklusive.

Andererseits ist Little Alien den Teenagern mit großer Empathie zugetan: Neben Asha und Nura aus Somalia stehen vor allem Jawid und Alem aus Afghanistan im Zentrum von Kusturicas Beobachtungen in Wien. Ihre Schicksale bleiben insgesamt fragmentarisch, aber in den jeweiligen Szenen werden sie ganz nah und konkret: Bei Streifzügen durch die neue Heimat, die nicht nur von Sprachgrenzen eingeengt werden, bei kleinen Tändeleien, einer improvisierten Geburstagsfeier oder dem Feilschen in der Kleiderkammer, wenn die Betreuerin für warme Kleidung plädiert und den Teenagern andere Qualitäten wichtiger sind.

Aber auch, wenn es darum geht, sich zwischen zwei möglichen Vorgangsweisen im Asylverfahren zu entscheiden und niemand einen verbindlichen Ratschlag geben kann; beim abendlichen Zusammentreffen mit einer harschen Polizeistreife, die Ausweise sehen will, oder wenn ein Freund nach seiner Abschiebung aus dem fernen Griechenland anruft.

In und zwischen diesen Szenen und Skizzen eines Alltags entsteht ein differenziertes Gegenwartsbild. Dieses entspricht in seiner Offenheit der Komplexität des Themas genauso wie der Integrität seiner Protagonisten. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.10.2009)