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Silvio Berlusconi vor Gericht: Diese Szene von 2003 könnte sich wiederholen, nachdem das Verfassungsgericht seine Immunität aufgehoben hat. Mit einem kleinen Unterschied: Das Haar ist heute nicht mehr ganz so schütter.

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Nach der Aufhebung seiner Immunität täuscht Premier Berlusconi Normalität vor. Doch die Debatte im Land eskaliert. Verehrer des italienischen Premiers rufen zu Massenkundgebungen auf, Gegner des Cavaliere sehen Italien am Abgrund.

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Es war ein symbolträchtiges Bild: Erstmals seit 15 Jahren riegelte die Polizei Silvio Berlusconis Privatresidenz in der römischen Stadt durch Metallzäune ab. Wollte sie den Premier vor seinem Volk schützen? Oder das Volk vor einem Regierungschef, dessen Skandale, Affären und Prozesse kein Ende nehmen wollen?

Zwei Stunden nach der Aufhebung seiner Immunität durch das Verfassungsgericht verließ Berlusconi seine Residenz, um im gegenüberliegenden Palazzo Venezia eine Ausstellung zu eröffnen. Von einem massiven Aufgebot an Leibwächtern eskortiert, überquerte der Cavaliere die Straße und steuerte auf den Pulk von Kameraleuten zu, die von der Polizei auf die andere Straßenseite abgedrängt worden waren. In gespielter Lässigkeit winkte er den Journalisten zu, sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. "Tutto come prima" , beruhigte der Premier. "Alles läuft weiter wie bisher." Dann setzte der Ministerpräsident zur üblichen Litanei an: Das Verfassungsgericht sei rot, 72 Prozent der Zeitungen ebenfalls, das Fernsehen werde von Linken beherrscht. Und vom amtierenden Staatspräsidenten sei hinlänglich bekannt, wo er stehe.

"Diese Augenblicke beflügeln mich" , versicherte Berlusconi. "Ohne mich wäre Italien in den Händen der Linken. Wie gut, dass es Silvio gibt. Viva Berlusconi! Hoch lebe das italienische Volk!" Während des skurrilen Auftritts führte die Polizei mehrere Passanten ab, die den Premier durch "In galera!" -Rufen ("Ins Gefängnis!" ) irritierten.

Am späteren Abend genügte ein Druck auf die Fernbedienung, um im Spiegel der Nation die wirre Selbstdarstellung eines tief gespaltenen und verunsichertes Landes zu verfolgen: Schreiduelle zwischen Politikern, Attacken, hysterische Auftritte. Der Fraktionsführer des Rechtsbündnisses in der Kammer Maurizio Lupi brachte es auf den Punkt: "Berlusconi will sich endlich den Regierungsgeschäften widmen. Und seit 15 Jahren hindert man ihn mit stets wiederkehrenden Vorwürfen daran."

Um tief in die Seele der Berlusconi-Anhänger zu blicken, genügt es, sein Hausblatt Il Giornale zu erwerben. Überblättert man die täglichen Warnungen vor Putschversuchen, Verschwörungen und subversiven Machenschaften gegen den Premier, landet man dort, wo der Gemütszustand der Fans seinen glaubwürdigsten Niederschlag findet: auf der Leserbrief-Seite.

Spenden für den Cavaliere

Dort wartete ein Verehrer des Cavaliere diese Woche mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf: Würde jeder Rechtswähler 42 Euro berappen, könnte damit jene Rekordstrafe von 750 Millionen Euro getilgt werden, zu der Berlusconis Fininvest-Konzern letzte Woche wegen eines gekauften Urteils verdonnert wurde. Die Idee, Normalbürger zur Kasse zu bitten, um dem reichsten Mann des Landes unter die Arme zu greifen, demonstriert die fast abgöttische Verehrung, die der Premier bei vielen seiner Anbeter genießt. Leise Töne sind kaum mehr vernehmbar. Der Appell des Giornale, den Regierungschef durch eine Massenkundgebung zu unterstützen, klingt wie ein Aufruf zum Bürgerkrieg.

Auch die Gegenseite zeigt sich in der Wortwahl nicht kleinlich. "Berlusconi ist ein krimineller Mafioso, ein Hurenbock" , schäumt der oppositionelle Abgeordnete Francesco Barbato im Parlament. Antonio Di Pietro, Vorsitzender der Partei Italia dei Valori, bezeichnet den Premier öffentlich als "verrückt" .

Kein Politiker hat Italien jemals so entzweit wie Silvio Berlusconi, der sich als "besten Regierungschef der letzten 150 Jahre" rühmt. "Italien" , seufzt der Corriere-Kolumnist Ernesto Galli Della Loggia, "befindet sich in den Händen von Oligarchien, die einzig an die eigene Macht denken - ein marginales Land, das abseits des Weltgeschehens lebt und längst jeden Glauben an ein gemeinsames Zukunftsprojekt verloren hat."

Die katholische Wochenzeitung Famiglia Cristiana ortet "ein moralisches Vakuum im politischen Leben des Landes", der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, warnt vor einer "Politik ohne Ethik" . Mahnungen, die der gebeutelte Premier freilich nicht auf sich bezieht: "Die Italiener lieben mich, weil sie so sein möchten wie ich." (Gerhard Mumelter/DER STANDARD, Printausgabe, 9.10.2009)