Ohne Reform sei der Mangel an Qualifizierten nicht zu beheben, sagt Wifo-Innovationsökonom Andreas Reinstaller.

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Stärkere Direktförderungen, höhere Steuerprämien und/oder -freibeträge, Strukturreformen, Effizienzsteigerung und mehr Risiko, um Forschung und Entwicklung im Hochtechnologiebereich zu verbessern: Die Liste an Empfehlungen, mit denen Österreich vom Imitator zum Erfinderland gemacht werden soll, ist lang wie bekannt.

In der von Verkehrs- und Wissenschaftsministerium beauftragten Systemevaluierung legen Wirtschaftsforschungsinstitut, KMU Forschung Austria, Prognos und Convelop ihre Finger auch in eine unterbelichtete Wunde des Innovationssystems: die Bildung. Ohne grundlegende Reform der Ausbildungssysteme sei der Eintritt in die Top-Liga der wissensbasierten Gesellschaft nicht zu bewerkstelligen, so die These der Evaluatoren. "Risiko- und Exzellenzforschung erreicht man nur in der nächsten Klasse, und das heißt: Veränderungen in der Bildung und an den Universitäten", stellt Wifo-Innovations- und Wettbewerbsexperte Andreas Reinstaller klar. "Bildung ist die zentrale Herausforderung."

Speziell gefördert werden müsste dafür die präkompetitive Forschung, also jene Aktivitäten, die von Vermarktung noch weit entfernt seien. In der Preisklasse der Profis sei die Basis für F&E-treibende Unternehmen weder breit noch dick. Das Kompetenzzentrenprogramm Comet biete diesbezüglich wertvolle Ansätze, die kooperative Forschung zwischen Unternehmen brauche aber weitere Impulse. Und Ziele, bei denen sich die Konzerne am Markt noch nicht konkurrenzierten. Im Forschungsmusterland Finnland versucht dies die Förderagentur Tekes mit sogenannten Shops, in denen jeweils drei bis sieben Unternehmen in einem abgegrenzten Segment auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.

Hier schließt sich der Kreis wieder. Denn für das größte Problem bei der Umsetzung hält Reinstaller den Mangel an qualifiziertem Personal, das die Herausforderungen umsetzen und meistern könne. "Sie kommen nicht in ausreichendem Maß aus unserem System. Denn dieses ist vom Primär- bis zum Tertiärsystem durchgehend eine Baustelle." Drei ökonomische Kennzahlen (Quelle: OECD) veranschaulichen, wohin die Reise geht: Die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften (Matura oder höher) ist zwischen 1990 und 2004 um fünfzig Prozent gestiegen. Die Nachfrage nach Personen mit mittlerer Qualifikation (Berufsschule, Lehre) stieg lediglich um drei Prozent, und die Nachfrage nach Geringqualifizierten mit Pflichtschulabschluss brach im selben Zeitraum um 26 Prozent ein.

Noch höhere Ausgaben für das im internationalen Vergleich ohnehin teure österreichische Bildungs- und Forschungssystem würden an dem Dilemma übrigens nichts ändern. Denn pumpt man mehr Geld hinein, sinkt die F&E-Produktivität. Fällt die F&E-Produktivität aber ab, verlagern die Unternehmen diese Bereiche nach Singapur, China oder in andere Länder, in denen der Output höher ist, weil entsprechendes Humankapital vorhanden ist. "Internationale Konzerne achten sehr auf die F&E-Produktivität", mahnt Industrieökonom Reinstaller, das Kapital müsse bestmöglich eingesetzt werden.

Womit klar ist, an welchen Stellschrauben die Politik drehen muss, wenn sie die Bedingungen für die angewandte Forschung verbessern will: für Forschungsnachwuchs und ausreichend -personal sorgen, Patentschutz und Verwertungsrechte, Kooperationsmöglichkeiten zwischen Universitäten und Betrieben samt Präsenz ausgewiesener Spitzenleute an den Unis. "Wer das bieten kann, kriegt die Forscher und gewinnt damit den Standortwettbewerb. Ohne Humankapital kann Österreichs Aufholprozess nicht gelingen", mahnt Reinstaller.

Unter den Hemmschuhen auf dem Weg zur Vermehrung von "Wissenspersonal" sticht vor allem die Selektion im Alter von 14 Jahren ins Auge. Sie führe, abgesehen von sozialen Benachteiligungen, zu einer Art Tunneleffekt, der zwar ausgezeichnete und begehrte Facharbeiter hervorbringe, in Krisenzeiten aber strukturelle Arbeitslosigkeit begünstige. Letzteres dann, wenn ganze Branchen wie derzeit die Autoindustrie ins Schleudern kommen.

Eine spätere Selektion hingegen würde die Bildung einer breiteren Basis an Menschen fördern, deren Ausbildung nicht nur auf das Training unternehmensspezifischer Fertigkeiten konditioniert, sondern offen und ohne bestimmte Denkmuster sei. Den Rest erledige Österreich selbst, meint Reinstaller, weil es dem Land und seinen Institutionen an der Fähigkeit mangle, qualifizierte Forscher in die Unternehmen zu bringen - obwohl hierzulande viele Studenten aus dem Ausland ausgebildet würden. Allein, sie bleiben nicht, ziehen wieder fort. Das schlage wohl nicht auf große, internationale Konzerne durch, die sich über das liberalere Deutschland versorgen können. Für kleinere Unternehmen sei die Luft aber sehr dünn. (Luise Ungerboeck/DER STANDARD, Printausgabe, 07.10.2009)